Des Prollsenders neue Kleider

Wer auf RTL 2 was werden will, muss ab jetzt angezogen bleiben. Denn der Sender will kein Porno-Proll-Kanal mehr sein. Also: Schluss mit Nackedei-Reportagen. Dabei haben Sexfilmchen im deutschen Privatfernsehen eine lange Tradition

von HENNING KOBER

Schluss mit lustig. RTL 2 will erwachsen werden und hat deshalb seinen Werbekunden angekündigt, ab dem neuen Jahr keine Erotik mehr auszustrahlen. In einem Befreiungsschlag soll das mühsam aufgebaute Porno-Proll-Image abgestreift werden. Angeblich, weil Jugendliche (Zielgruppe!) keinen Bock mehr auf Titten und Schwänze haben.

Bereits im November gekippt wurde „Late Night Fantasy“, das fiese Pseudo-Aussteigerprogramm für alternde Pornostars, in dem Kelly Trump stundenlang langweiliges Sexspielzeug verkaufen musste. Aber weil RTL 2 eben RTL 2 ist und bis zum 1. Januar ja noch vier Wochen Zeit waren, verwursteten die Münchner noch schnell Trumps Leben und Werk in der wöchentlichen Sendung „Das wilde Leben der Pornostars“. Ja, RTL 2 kümmert sich um seine Stars. Nach dem Erfolg mit der Lebensgeschichte Sibylle Rauchs lässt sich später vielleicht noch ein TV-Movie für RTL machen. Die Wertschöpfungskette der RTL-Gruppe soll schließlich funktionieren.

Den größten Verlust bereitet uns der Sender, der durch „peep“ Verona, Naddel und irgendwie auch Dieter bekannt machte, jedoch mit dem Aus seiner „Exklusivreportagen“ mit so klingenden Titeln wie „Palmen, Prolls, Pauschalurlauber – all inclusive am Mittelmeer“, „Nackig, knackig, durchgeknallt – Party auf Ibiza“ und „Party nonstop – Feiern bis der Kolben glüht“. Nicht nur wegen solch schöner Titel ist die schamlos als Reportage ausgegebene Rödelstunde, meist in Mittelmeer-Urlaubskulisse, der „Schulmädchenreport“ der Neunziger. Das herausflutschende Silikonkissen im Vorspann der Reportagen wird unvergessen bleiben. Und weil beim Fernsehen immer alles flutschen muss, werden die Stilstudien deutscher Prollurlauber sicher irgendwann wieder herausflutschen aus den Archiven, ans helle Licht der Mattscheibe, genau wie der „Schulmädchenreport“ Anfang der 90er unter den bunten Ball von Sat.1.

In diesem Zusammenhang ist dringend ein kleiner Flashback nötig in die Gründungsphase des Privatfernsehens, Mitte der 80er-Jahre: Deutschland leidet schwer unter der geistig-moralischen Wende und lauscht freudig den Verheißungen des neuen Fernsehmachers Helmut Thoma und seiner Jungs von Radio Luxemburg. Bunt sollte das Fernsehen endlich werden, und es sollte Schluss sein mit Gängelungen und Vorschriften des Staates. Der Zuschauer sollte Sex (SEX!) vom heimischen Sofa oder besser gleich vom Bett aus konsumieren. Ganz im Geiste der Revolution, der sexuellen natürlich, und mit dem Segen von Oswalt Kolle und Erika Berger.

Zuschauer waren meist pubertierende Jungs. Mami und Papi nicht da, Freunde zum Übernachten im Haus, genug vom Doomballern und dann: „Na, willst mal was Krasses sehen?“ Na klar. Is ja schon irgendwie aufregend. Und lustig. „Kuck mal, das ist doch Lauterbach.“ „Nee, Quatsch.“. „Doch klaro, der mit den Koteletten.“ Dann ist da noch Ingrid Steeger – und Friedrich von Thun, den kennt man ja auch, aus dem ZDF.

Ob die RTL-2-Reportagereihen auch neue Schauspieler hervorbringen werden? Wohl kaum, sind ja alles Laien, Leute wie du und ich. Da ist es schon wahrscheinlicher, in 20 Jahren einen Deutsche-Bank-Vorstand am Strand von Mallorca beim Baggertest zu identifizieren oder einen FDP-Minister bei der Teilnahme an einem Knackarsch-Contest auf Mykonos.

Liebe Freunde von RTL 2, passt bitte gut auf eure Meisterwerke auf. Irgendwann wird sie ein junger aufstrebender Sender kaufen und senden, und wir werden dann wieder eine Menge Freude haben an all den Typen und Tussen beim Peinlichvögeln. Vielleicht bald auf Super RTL.