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Der Park als Hinrichtungsplatz

So surreal wie das verschwommene Bild eines Toten auf einem immer wieder vergrößerten Foto: Mike Silva löst in der Galerie Barbara Thumm Schritt für Schritt Landschaften in psychedelisch leuchtende Muster und Ornamente auf

Hinter dem Gebüsch dringt gleißendes Grün hervor. Was auch immer hier tatsächlich stattgefunden hat, oder noch geschehen wird, bleibt ungeklärt. Mit den Indizien verliert sich auch die Gewissheit der Wahrnehmung. Die auf fotografischen Vorlagen basierenden Serien von Landschaftsgemälden des jungen Londoner Künstlers Mike Silva lenken den Blick des Betrachters auf verlassene Tatorte aus Licht und Farbe – menschenleere Parkanlagen und Rasenflächen, Wasserlachen, in den denen sich das Unterholz zwischen herabgefallenen Blättern spiegelt, ausgetretene Wege die in ein Flechtwerk aus Helle und Schatten führen.

Silvas zweite Einzelausstellung in der Galerie Barbara Thumm inszeniert den städtischen Raum wie eine Beziehungsstudie, in der sich anonyme Ansichten von Parks, die ebenso der Clapham Common oder auch Hampstead Heath sein könnten, mit den Porträts seiner engsten Freunde mischen: Darren, Jonathan, Vangelis, die auf den Gemälden durchweg in Innenräumen festgehalten werden; abgewendet vor dem monochromen Weiß einer Wand, in lässiger Pose ausgestreckt auf einem fliederfarbenen Bett, starr auf das Gegenüber blickend. So beiläufig Silvas Momentaufnahmen erscheinen, so trügerisch ist ihre Alltäglichkeit.

Was aus der Entfernung als beinahe fotorealistische Rekonstruktion eines Schnappschusses oder als Bestandteil einer Bildgeschichte erscheint, zeugt mit jeder Annäherung von zunehmender Entfremdung. Schritt für Schritt löst sich die Landschaftsmalerei in einem psychedelisch leuchtenden Camouflage-Muster auf, das die eindeutige Erfassung des Motivs sabotiert, und es schließlich in einem sich immer weiter ausdehnendem Ornament verschwinden lässt.

Der Park als modernistischer Hinrichtungsplatz der traditionellen Erzählung: Bereits in Michelangelo Antonionis 1966 entstandenem Film „Blow Up“ fiel David Hemmings als cooler Londoner Fotograf an selber Stelle auf der Suche nach den Hinweisen auf einen vermeintlichen Mordfall der Unzuverlässigkeit seiner Sinneseindrücke zum Opfer. So surreal wie das verschwommene Bild eines Toten auf einem immer wieder vergrößerten Foto, so zweifelhaft erschienen hier auch menschliche Beziehungen. „Ich bin nicht hier. Ich bin in Paris“ sagte die berauschte Veruschka in der berühmten Partyszene des Films. Wenn Menschen unfähig sind, mitzuteilen, was sie tatsächlich fühlen oder denken, warum sollten dann Bilder präzise oder verlässlich sein?

Wie in Antonionis Film zerfließen in Silvas leeren Parkbildern die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt. Was zuvor der Schauplatz für Charaktere war, wird nun plötzlich selbst zum Protagonisten einer imaginären Handlung. Letztendlich gibt es in der Malerei des 1970 in Schweden geborenen Silva keinen Unterschied zwischen der Geste eines Mundwinkels, oder dem Verlauf eines Astes. Hinter den romantisch anmutenden Landschaftsansichten und Porträts Silvas entfaltet sich ein fragmentarischer Blick auf das urbane Leben, der zugleich von Misstrauen und hedonistischer Neugier geprägt ist, der Unbestimmtheit von Handlungen, Geschichten, Wahrnehmungen und Gefühlen.

Die sehnsüchtige Spannung in Silvas Bildern, gleicht der vagen Erwartung die einen bei der Entwicklung eines fotografischen Abzugs überfällt. Noch ist nichts vollendet, das Begehren hat keine eindeutige Erfüllung, alles erscheint möglich – oder auch nichts. „Je weiter ich gehe, desto schwerer fällt es mir, wiederzugeben, was ich fühle“ hat Claude Monet gesagt. Je mehr wir uns Silvas Landschaften und Gestalten annähern, um so unerreichbarer werden sie.

OLIVER KOERNER VON GUSTORF

Bis 19. 01., Di bis Fr 13 bis 19, Sa 13 bis 18 Uhr, Galerie Barbara Thumm, Dircksenstraße 41, Mitte

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