Komfort meets Repräsentation

Mit zunehmenden Alter steigt das Bedürfnis, sich vom Boden zu erheben, um das lieb gewonnene Matratzenlager zu verlassen und sich höher zu betten. Den Schlafstätten-Klassikern gemein ist, dass sie ausgesprochen minimalistisch konstruiert sind

von MICHAEL KASISKE

Neulich bemerkte eine Psychologin im Gespräch, dass sie sich ein Bett zugelegt habe. Mit 47 Jahren fand sie es richtig, das Matratzenlager zu verlassen und sich höher zu betten. Irgendwie waren wir im Zusammenhang mit beruflichem Fortkommen, persönlichem Status usw. auf dieses Thema gekommen. Im Rückblick erscheint mir ihre Bemerkung wie eine Gleichsetzung vom Besitz eines Bettes mit einem gewissen sozialem Settlement.

Vielleicht liegt darin der Grund, warum ich mich mit diesem Möbel Bett bislang so wenig anfreunden konnte. In das Selbstverständnis eines Freischaffenden passt allenfalls etwas wie die Liege mit dem schnöden Titel „455“, die in den Augen des gewöhnlich Schlafenden wohl kaum als ein gemütliches Bett wahrgenommen würde.

Das Stahlrohrbett „455“ wurde 1927 von dem Schweizer Architekten Alfred Roth für ein von Le Corbusier entworfenes Wohnhaus entwickelt. Roth war seinerzeit der ausführende Architekt auf der Baustelle der Weißenhofsiedlung in Stuttgart und sah sich in Ermangelung von Vorgaben des Meisters vor die Aufgabe gestellt, die so genannten „transformablen Räume“ selber zu möblieren. Das hieß, hier sollten die Betten kurzerhand tagsüber verschwinden, damit der Raum zum Wohnen genutzt werden konnte. Die getroffene Lösung sieht zwei vernickelte Rohrbügel an Kopf- und Fußende vor, so dass die Betten wie auf Kufen über den Teppich, ohne Mühe seitlich in einem Kasten weggeschoben werden können.

Lange Zeit wurde „455“ zu Roths Ärger nicht nur Le Corbusier zugeschrieben, sondern auch ohne sein Wissen kopiert. Das zwei Meter lange Bett wird seit 1933 von der Firma Embru hergestellt, inzwischen nicht mehr mit Spiralfederzug oder Netzbespannung, sondern mit Lattenfederung und verstellbarem Kopfteil. Dazu gibt es auch eine Bettzeugschublade; Roth hatte nicht nur hehre Form und Funktion vor Augen, sondern dachte auch an die notwendigen Hüllen des Schlafens.

Bei dem Scherenbett aus den 1980er Jahren, entworfen und hergestellt vom Schweizer Kurt Thut, ist das Thema „Poetenlager“ minimal, freilich qualitätvoll sublimiert. Es mag an der schweizerischen Tradition des bilderfeindlichen Calvinismus liegen, dass Nüchternheit das Design und die Architektur der Eidgenossen prägen. Beim Scherenbett handelt es sich um ein Holzgestell auf kleinen Füßen, das sich wie ein Scherengitter auseinander ziehen und die Matratzen ein paar Zentimeter über dem Boden schweben lässt. Sinn macht es insbesondere als Doppelbett mit zwei Matratzen, die im zusammengeschobenen Zustand übereinander gelegt werden und eine Einpersonenliege oder eben eine Sitzgelegenheit ergeben. Leider bleibt die Frage, wohin mit dem Bettzeug, bei diesem bestechend einfachen Möbel unbeantwortet.

Auch das „Bett 1“, das der Schweizer Designer und Maler Andreas Christen 1982 für lehni entworfen hat, ignoriert Decken und Kissen. Das spartanische Stahlrahmenbett, in Breiten von 80 bis 200 Zentimetern lieferbar, nimmt sich formal zurück und lässt den Eindruck eines „schwebenden“ Lagers entstehen. Diese Strenge liegt in der Zuneigung des Malers Christen zum Konstruktivismus begründet.

Wenn auch der Name „Bett 1“ anderes vorgibt, existiert ein Vorläufer dieser Schlafstatt. Christen entwarf 1960 ein Stapelbett aus Polyester, das heute leider nicht mehr in Produktion ist. Auch hier fasziniert sowohl die gewagte Proportion von breiter Liegefläche zu den kleinen, stützenden Füßen als auch die unprätentiöse Gestaltung, die ihren Reiz aus der Abstimmung auf ökonomische Produktion und Gebrauchswert gewinnt. „Bett 1“ wird pulverbeschichtet in den Farben Weiß, Schwarz und Blau hergestellt, die dezenten Matratzenhalter an den Ecken sind verchromt; die Auflagefläche besteht aus Schichtholz mit Belüftungsschlitzen.

Ökonomie und Funktionalität lassen sich auch der Stapelliege zuschreiben, die der Hamburger Designer Rolf Heide 1967 für den norddeutschen Hersteller Müller Möbelwerkstätten entworfen hat. Zum einen, weil sie durch das Stapeln Bewegung in den Schlafraum bringt: Zwei Betten beanspruchen außerhalb des Gebrauchs nur den Platz von einem. Zum anderen, weil sie im Gegensatz zu den Betten mit Stahlgestellen, die von vornherein eine maschinelle Herstellung bedingen, ursprünglich zum Selbstbau gedacht war.

Einfach konstruierte Formen kennzeichnen die damaligen Entwürfe des gelernten Tischlers Heide. Doch die Idee, lediglich ein Schnittmuster zu liefern, erwies sich trotz der Verwendung von Holz und handelsüblichen Beschlägen als zu aufwändig in der Durchführung. Das Bett wird heute zerlegt verschickt: Vier Holzteile, eine Matratze und ein Rollrost oder alternativ mit Lattenrosten im Metall- oder Massivholzrahmen. Zur Anwendung kommt neunfach verleimtes Schichtholz in den einheimischen Arten Buche, Esche oder Ahorn, das mit natürlicher oder farbig lackierter Oberfläche angeboten wird. Dazu gibt es auch einen Bettzeugkasten, eine einfache Kiste mit einem lose eingelegten Deckel.

Diese in den Sechzigerjahren entwickelten Objekte richtete Heide an eine junge Generation, die von ihrer Einrichtung eher Komfort denn Repräsentation forderte. Jedoch ganz abgesehen vom sozialen Status, spätestens ab 60 Jahren wird ein Bett zum Muss. Denn gegenläufig zu der Tiefe des Schlafes, die bekanntlich mit zunehmenden Alter abnimmt, steigt die Anstrengung, sich aus niedrigen Möbeln zu erheben. „Halb zog es ihn, halb sank er hin“ soll dieses Bett vor dem Aufstehen trösten.

„Bett 1“ von lehni u. a. bei Modus, Wielandstr. 27 – 28, Berlin-Wilmersdorf; die Stapelliege von Müller Möbelwerkstätten u. a. bei Trollhus im Stilwerk; Kantstr. 17, Berlin-Charlottenburg; Karl Thuts Scherenbett u. a. bei Kontor, Potsdamer Str. 93, Berlin-Schöneberg