Das Leben, ein Weiterziehen

Der Kinofilm „Middle of the Moment“, ein Cinepoem der beiden Filmnomaden Nicolas Humbert und Werner Penzel

Weiße Punkte stieben. Funken. Oder ist es Schnee? Von zwei Seiten wird eine Glut angefacht. Aus der Dunkelheit tauchen – mit jedem Atemzug heller – zwei Gesichter auf. Ein afrikanisches, ein weißes. Nein, drei. Eine Katze starrt von einer Schulter gebannt in die Glut. Die Gesichter blasen sich selbst ans Licht, um am Ende jedes Atemzugs wieder in der Finsternis zu versinken. Ein aufgeladener Moment. Schöpfungsgeschichte. Und doch sind es nur zwei Artisten des Cirque O am nächtlichen Feuer.

So beginnt die Hommage der Filmemacher Penzel und Humbert an Nomaden. Über zwei Jahre sind sie selbst gereist: mit den Zirkusartisten durch Nordeuropa; mit Tuareg der Kel Iforas und Kel Wedegui in der südlichen Sahara; mit dem amerikanischen Dichter, Clown und Philosophen Robert Lax, während er seine kleine Insel Patmos verlässt.

Eine Targia schneidet einem Targi das Haar, vergräbt es im Sand. Um Schadenszauber zu vermeiden. Robert Lax lässt sich auf der Schifffahrt den weißen Bart stutzen. Den Schwarzweißfilm zu schneiden, in fließende Übergänge und abrupte Brüche zwischen den verschiedenen nomadischen Welten, ist dann ein weiteres, inneres Reisen gewesen. Penzel und Humbert benötigten ein Jahr dafür, weil, wie sie sagen, „der Film selbst uns darauf hingewiesen hat, dass das Flüchtige schon im Thematischen angelegt ist und dass sich das auch auf die Form zu übertragen hatte“. Es ging ihnen nicht um Dokumentation. Auch nicht um narratives Erzählkino. „Die Werkstatt des Filmemachers“, sagen sie, „ist ein Zelt, das er in der Welt aufstellt. Er nimmt dort etwas auf, dann baut er es wieder ab und zieht weiter.“ Entstanden ist dabei eine Flut von Bildern, die die Sinne mitreißt und in Bewegung hält. Die „Mitte des Moments“, die Verdichtung der Gegenwart zum Augenblick ist zunächst nichts als Abstraktion. Jeder Moment steht uns entweder bevor oder gehört bereits zum Vergangenen. Ein „Standpunkt“ ist aus dieser Sicht weder Punkt, noch steht irgendetwas. Der Boden unter den Füßen ist nicht verlässlich, geschweige denn sicherer Grund. Er entzieht sich unentwegt. Panta rhei. Wo aber wäre da der Glücksmoment? Lediglich in der Erinnerung oder in der Vorfreude auf etwas, was, wenn man es gewahrt, bereits verflogen ist?

Tuareg warten in gemessener Entfernung auf die Geburt eines Dromedars. Ihre Dialoge sind von der minimalistischen Prägnanz der Gedichte, die Robert Lax vorträgt: „One moment passes, another comes on . . . how was / was / how is / is / how will be / will be“. Und ein weiteres Schöpfungsbild: Das Neugeborene liegt wie tot im Sand, dürr, unproportioniert. Der alte Targi stößt es sacht mit dem Stock und das Fohlen zuckt, erhebt sich auf seine Beine. „Istigkeit“ hat Meister Ekkehart genannt, was sich hier in einem flüchtigen Augenblick offenbart: die Sinnlichkeit des Gegenwärtigen. Du kannst es nicht festhalten, nicht darin verharren. Kannst nur mit den Bildern ziehen. Assoziativ. In Ahnung des Glücks. Das Leben ist ein Weiterziehen.

ANDREAS KIRCHGÄSSNER

„Middle of the Moment“. Produktion: Cine Nomad, Nicolas Humbert, Werner Penzel, 35mm, Schwarzweiß, 80 Min.