Pfefferspray gefährdet die Gesundheit

Seit 1. Januar darf auch die Berliner Polizei den Reizstoff „OC“ einsetzen. Warnungen von Experten werden ignoriert

BERLIN taz ■ Berlins amtierender Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) spricht von einer „Ökologisierung der Nahkampfstoffe“. Damit meint er die unscheinbaren Sprühdosen, die von der Hauptstadtpolizei seit Jahresbeginn eingesetzt werden dürfen. Die Wirkung des aus scharfem Pfeffer gewonnenen Reizstoffes „Oleoresin Capsium“ (OC) ist jedoch sogar erheblich stärker als die aller anderen polizeilichen Tränengase. Wer mit OC besprüht wird, kann Krämpfe im Oberkörper oder ein brennendes Gefühl auf der Haut bekommen. Wissenschaftler aus den USA warnen auch vor unkontrollierbarem Husten, Sprech- und Atemschwierigkeiten bis zu einer Viertelstunde, temporärer Blindheit bis zu 30 Minuten.

Bereits seit den 90er Jahren rüsten mehrere europäische Staaten ihre Polizeien mit Pfefferspray aus. Im Juni 1999 empfahlen auch die deutschen Innenminister die Einführung. Nach einem sechsmonatigen Modellversuch setzt Bayern es seit Februar 2000 ein. Mit Ausnahme von Berlin folgten bis Anfang 2001 alle übrigen Bundesländer und der Bundesgrenzschutz. Seit dem 1. Januar sind nun auch die Berliner Polizisten mit OC ausgerüstet. Dabei ignoriert die Bundesrepublik offenbar bewusst die Ergebnisse eines Berichtes des britischen Omega-Institutes, den die Technologiefolgen-Abschätzungskommission des Europaparlamentes in Auftrag gegeben hatte. Der so genannte STOA-Bericht vom Mai 2000, über den der Informationsdienst „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“ berichtet, empfiehlt allen EU-Staaten, Anschaffung und Einsatz des Sprays zu stoppen und zunächst weitere medizinische Gutachten abzuwarten. Solche Untersuchungen sind in den Niederlanden, Großbritannien und Schweden angelaufen.

Die Geschichte des Pfeffersprays beginnt in Porton Down, einer ehemaligen britischen Regierungseinrichtung, wo man in den 60er Jahren auf der Suche nach einem Ersatz für ein anderes Tränengas war. Zu einer Waffe entwickelt wurde Pfefferspray 1973 in den USA. Zunächst für die Bundespolizei FBI gedacht, traten Pfefferspray-Produkte schon bald einen weltweiten Siegeszug bei Polizeien, Strafvollzugsbehörden und Militärs an.

Während die Hersteller OC als „ideale nicht-tödliche Waffe“ preisen, kommt der STOA-Bericht zu ganz anderen Schlussfolgerungen. Er beruft sich dabei insbesondere auf die Ergebnisse einer amerikanischen Forschergruppe in North Carolina von 1996. Danach kann der Wirkstoff OC zu Degenerationen an den Nervenenden der Hornhaut und zu nervenlähmenden Hornhautentzündungen führen. Als weitere gesundheitliche Risiken werden Augenschäden, Hautkrankheiten, Schädigungen an Atmungsorganen, Gehirn, Leber und Nieren genannt. Besonders gefährlich sei OC für Personen, die unter Atemproblemen und Asthma leiden, Medikamente nehmen müssen oder unter Drogeneinfluss stehen.

Laut STOA-Bericht sind selbst Krebs und Mutationen des Erbgutes nicht auszuschließen. Aus den USA wurden zudem verschiedene Todesfälle durch den Einsatz von OC bekannt. Demnach starb etwa in Novato (Kalifornien) ein Drogenabhängiger, nachdem er mehrmals besprüht worden war, da er sich gegen einen kurzen Einsatz von OC als resistent erwiesen hatte. Ebenso soll es mehrere Fälle in amerikanischen Gefängnissen geben, bei denen gefesselte Gefangene besprüht wurden und anschließend erstickten. Nach einem Bericht der Los Angeles Times kam es in den USA in den Jahren 1990 bis 1995 zu insgesamt 61 Todesfällen im Zusammenhang mit Pfefferspray-Einsätzen. Ebenso wie ihre Amtskollegen in anderen Staaten ignorieren jedoch auch die deutschen Innenminister solche Berichte bisher beharrlich. OTTO DIEDERICHS