Armut als Verbrechen – Genua, New York und Kabul

■ Mit der Globalisierung und ihren Gegnern beschäftigt sich das jüngste Heft der Zeitschrift Mittelweg 36

Folgen und Begleiterscheinungen der aktuellen Form des Kapitalismus: So könnte der Titel des neuen Hefts des Mittelweg 36 lauten, hätte es einen solchen. Stattdessen ist die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung aufgeteilt in ein Schwerpunktthema, mehrere Einzelaufsätze, eine Beilage mit Literaturbesprechungen und diesmal auch ein Interview. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit kann sie sich derart leichter voreiligen Verallgemeinerungen entwinden, die ein einheitliches Motto mit sich brächte.

Unter dem etwas irreführenden Titel „Die Grenzen der Anti-Globalisierungsbewegung“ hat sich Wolfgang Kraushaar der Chancen und Probleme der großen, weltweit vernetzten und äußerst disparaten Gruppe von Gegnern einer Deregulierung der Märkte angenommen. In seinem Aufsatz weist er jedoch nicht nur darauf hin, dass die Fragmentierung und unterschiedliche ideologische Ausrichtung des Protests zum Hindernis für die Durchsetzung seiner Ziele werden kann. Kraushaar schätzt zugleich den Einfluss, den die bisherigen Aktionen und Blockaden auf die Repräsentanten unterschiedlicher Weltwirtschaftsorganisationen, auf Politiker und die öffentliche Meinung gehabt haben, außerordentlich hoch ein.

Allerdings wird man den Eindruck nicht los, er wünsche sich, die Proteste mögen in einer parteipolitischen Form münden – wie sie etwa die Grünen in den 80er Jahren der Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung gegeben haben. Dabei dürfte in Wirklichkeit der überschaubare Erfolg der Partei bei der Durchsetzung jener Protestziele für die Globalisierungsgegner Abschreckung genug sein.

Das Thema Anti-Globalisierungsbewegung wird durch eine Chronik ihrer bisherigen Protestaktionen abgerundet, die Miriam Holzapfel und Karin König, beide Wissenschaftlerinnen des Instituts am Mittelweg, zusammengestellt haben. Sie beginnen ihre Geschichtsschreibung mit dem ersten Weltwirtschaftsgipfel im November 1975. Bereits 1980, so kann man hier nachlesen, beginnt sich der Protest gegen die Beschlüsse der G7 auf der Straße zu regen.

Mit dem Wandel der US-amerikanischen Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September letzten Jahres, der auch die Anti-Globalisierungsproteste nicht unberührt gelassen hat, beschäftigt sich Christopher Daase. Die von den USA in der Folge der Anschläge vollzogene Einebnung der Unterscheidung zwischen Krieg und Terrorismus habe nicht nur weitreichende Folgen für das internationale Völkerrecht, sondern – so seine These – dadurch sei paradoxerweise auch der Gegner politisch aufgewertet worden.

Mit einer anderen semantischen Umdeutung beschäftigt sich seit Jahren der Soziologe Loäc Waquant: Innenpolitisch habe sich eine völlige Transformation des Begriffs Sicherheit vollzogen. Nicht mehr soziale Sicherheit würde darunter verstanden, sondern zunehmend nur noch die Sicherheit der Besserverdienenden vor einer als Delikt verstandenen Armut. Den Übergang vom Wohlfahrtsstaat zum strafenden Staat, wie er sich in den USA an einer unglaublichen Zunahme der Gefängnispopulation zeigt, versteht Waquant als politische Absicherung der neuen unsicheren und unterbezahlten Jobs (Elend hinter Gittern, 2000). Im Interview für die jüngste Ausgabe des Mittelweg 36 gibt der Soziologe Auskunft über die Unterschiede dieser Entwicklung für die USA und Europa sowie über Alternativen zur zunehmenden Bestrafung der Armut.

Christiane Müller-Lobeck

Mittelweg 36, Heft 6/2001 (inkl. Jahresregister 2001), 92 S., 18 Mark