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Die Fragen sind einfach
: Unterkühlte Bewusstseinslage

Das neue Jahr ist schon ein bisschen abgenutzt. Das schöne Urlaubsgefühl beim Zahlen mit der neuen Währung geht langsam in Gleichmut über, die Stadt fädelt sich in ihren gewohnten Alltag ein. Eine kollektive Rückkehr zur blassen Gleichförmigkeit der Abläufe, der man selbst mit geradezu beunruhigender Lustlosigkeit gegenübersteht. Das eigene Dasein hängt körperlich und mental ja immer noch irgendwo im angenehmen Ausnahmezustand der vergangenen Feiertage fest. Fragen, die einen in dieser unterkühlten Bewusstseinslage beschäftigen, sind einfach und heißen: Warum ist es schon wieder dunkel? Warum Kälte? Warum Manchester-Kapitalismus? Was macht Kylie? Wann kommt der zweite Teil von „Herr der Ringe“ ins Kino? Schlafen ist besser als tot sein usw. usf.

Das Verharren in der hübschen Lethargie des Wochenendes kann man sich mit den zahlreichen Medienberichten über sinnlose Gewaltausbrüche legitimieren, die das Verlassen der Wohnung offensichtlich mit sich bringt: „Versehen: 12-Jährige erstach Freund“ (BZ); „Prominenter Bergsteiger schüttelt Kind zu Tode“ (BZ); Wütender Chinese ließ Mercedes-Limousine von einer Kuh durch die Straßen ziehen, um den Wagen dann von Arbeitern mit Vorschlaghämmern zu Schrott schlagen zu lassen (Süddeutsche Zeitung); Männer mit Riesensägen bearbeiten plumpe Baumstümpfe in einer Schneelandschaft (DSF-Nachtprogramm).

Es sind Nachrichten wie diese, die einem das eigene Leben ungemein friedlich erscheinen lassen. Eine innere Genugtuung, die von außen kaum zu erschüttern ist. Allenfalls von Berichten der Nachbarin, die noch größere Gelassenheit belegen. A. hat ihren Silvesterabend in einem Kreuzberger Yoga-Zentrum verlebt. Von 22 bis 1 Uhr sammelte sich ihre Berliner Yoga-Gruppe in aller Stille zur Meditation, zeitlich synchron mit einer Yoga-Versammlung in Rumänien. Versunken in Kontemplation hat A. den kritischen Zeitpunkt 12 Uhr nachts gar nicht mitbekommen. Allein deswegen war sie schon zufrieden mit dem Programm. Aber auch die Kooperation mit Rumänien habe gut geklappt, sagt A. Insgesamt hätten etwa 30.000 Berliner und Rumänen gemeinsam Yoga-Übungen gemacht. Und es entspreche ja einem buddhistischen Grundsatz, dass ein Mehr an physischer Masse auch ein Mehr an spiritueller Wirkung erziele.

Trotzdem soll an dieser Stelle die weltliche Tatsache erwähnt werden, dass viele aus dem Blickfeld geratene Prominente auch im neuen Jahr weiterhin in Berlin leben. Letzte Woche sah man zum Beispiel Kerstin aus dem Big-Brother-Haus. RTL 2-Zuschauer werden sie für immer als die blonde Nervensäge der ersten BB-Staffel in Erinnerung behalten. Kerstin saß im Schöneberger Café M. und wartete auf einen Freund, der sich beim Eintreffen als ungewöhnlich farbloser junger Mann herausstellte. Während des Wartens auf den jungen Mann las Kerstin in einem dicken Roman. Wohl um die Monotonie des Stillsitzens zu durchbrechen, begann sie, den Drogendealern am Nachbartisch lange, unverständliche Sätze aus dem Buch vorzutragen, obwohl niemand sie darum gebeten hatte. Es zeigte sich schnell, dass Kerstin 2002 genauso unsympathisch ist wie im Fernsehleben des Jahres 2000.

Nach Meinung der Drogendealer sah ihr Kollege Alex, mit dem sie damals ein Verhältnis hatte, allerdings bedeutend besser aus als der Neue. Das muss den bleichen Mann jedoch nicht beunruhigen. Bei vielen jungen Mädchen folgt auf die Zeit der bunten Sonnenbrillen eine Phase der inneren Einkehr, in der althergebrachte Normen von Schönheit bald an Geltung verlieren. KIRSTEN KÜPPERS