Eine Wette auf Wachstum

Mit Notstandsmaßnahmen und der Aufhebung der Peso-Dollar-Koppelung sucht Argentinien der Krise Herr zu werden

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Der Bierwagen musste voll beladen zurück. Als am Samstag die größte argentinische Bierbrauerei Quilmes im Stadtteil Palermo von Buenos Aires die Lebensmittelhändler belieferte, blieben über hundert der blauen Bierkisten auf der Ladefläche. Trotz der Sommerhitze wollten nur wenige Händler das populärste argentinische Gebräu in ihre Kühlschränke stellen. Die meisten waren empört darüber, dass die Literflasche Quilmes die Händler auf einmal 1,10 Peso kosten sollte, wo sie doch bisher für einen Peso plus Pfand gekühlt verkauft wird.

Statt argentinischen Quilmes’ löscht jetzt brasilianisches Brahma den Bierdurst. Der Konkurrent hat die Preise nicht angehoben. So wie der Bierbrauer von Quilmes versuchen derzeit viele große argentinische Firmen, die Preise in die Höhe zu treiben. Selbst Produkte, die kein Gramm Importzutaten enthalten, wie beispielsweise Schinken, Milch und Käse, werden teurer. Damit versalzen die Hersteller Präsident Eduardo Duhalde die Suppe, der unbedingt vermeiden will, mit der bevorstehenden Pesoabwertung eine Inflationsspirale loszutreten. Die am Freitag vorgelegten Zahlen des nationalen Statistikinstituts (INDEC) bestätigen einen Preisanstieg. Im Dezember schwenkte die Deflation in eine leichte Inflation um – also einen Anstieg der Preise. Aber ohne Wachstum. Düstere Aussichten für Argentinien.

Sichtlich erleichtert kam Duhalde daher am Samstagnachmittag aus einer Sitzung mit den Chefs der großen Supermarktketten und Pharmafirmen. Diesen hatte der Präsidenten das Versprechen abgerungen, die Preise nicht zu erhöhen, was den Preisdruck auf die Hersteller und Importeure verstärkt. Einige Kettenmanager konnten ihr Ehrenwort freilich leicht geben: Sie hatten ihre Angestellten schon vor einer Woche mit der Etikettenklebepistole durch die Regale der Filialen gejagt.

Die Kosten für Strom, Gas und Wasser sind in Pesos zu entrichten, hat Duhalde außerdem angeordnet. Auch die Mieten werden in Pesos überwiesen. Damit ist eine gewisse Preisstabilität gesichert.

Einfach war dies nicht. Der stellvertretende Kabinettschef Juan Pablo Cafiero gibt zu, dass die Regierung stark unter Druck steht. „Dieser Druck geht von denen aus, die dieses Mal in Argentinien kein Geschäft machen“, sagte er einem Radiosender.

Verständlich. Denn was für Mieter und Hausbesitzer stabile Nebenkosten bedeutet, führt bei einer möglichen Abwertung von 30 Prozent zu einem 30-prozentigen Gewinneinbruch bei den Gas-, Wasser- und Stromversorgern. Dies könnte ein juristisches Nachspiel haben. Denn als zu Beginn der Neunzigerjahre die staatlichen Versorgungsmonopole in private Monopole umgewandelt wurden, kam eine Klausel in die Verträge, wonach den Unternehmen Dollargewinne zu überweisen sind.

Aber die Versorgungsunternehmen sind nicht die einzigen, die in den vergangenen Tagen wütend bei Präsident Duhalde vorstellig wurden. Selbst der spanische Staatschef José María Aznar griff zum Telefonhörer, um Duhalde von seiner Idee abzubringen. Die spanische Telefónica und der spanische Mineralölkonzern Repsol zählen zu den stärksten Unternehmen in Argentinien. Spanien hat das Land wirtschaftlich zurückerobert. Jetzt fürchten die Firmen um ihre Pfründe.

Genauso wie die Banken. Denn alle Schulden privater Haushalte, kleiner- und mittelständischer Läden und Automobilbetriebe bis zu einer Höhe von 100.000 Dollar werden vor der Abwertung in Pesos umgewandelt. In Dollars angelegte Festgeldkonten sind aber in Dollars auszuzahlen: Die Banken nehmen also Pesos ein und zahlen Dollars aus. Was den Gläubiger und Sparer beruhigt, ist ein Verlustgeschäft für die Banken. Duhalde hat versprochen, die eingefrorenen Bankkonten wieder aufzutauen. Da können ihm die Banken ein Bein stellen.

Duhaldes Strategie heißt: Förderung der nationalen Industrie. Am Freitag sagte er vor Unternehmern, dass „der produzierende Sektor das Land regieren soll“. Einige Themen hat die Regierung allerdings ausgelassen. So steht in dem am Samstag verabschiedeten Gesetz kein Wort von Sozialpolitik oder Beschäftigungspolitik.

Duhalde geht offenbar davon aus, dass Wachstum Arbeitsplätze schafft. Aber die Wette auf Wachstum haben auch schon seine Vorgänger Carlos Menem und Fernando de la Rúa verloren.