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„Arisierung“ von unten

■ Schnäppchenjäger im „Dritten Reich“: StudentInnen untersuchten, wie BremerInnen von der Enteignung ihrer jüdischen Nachbarn profitierten

Es war schlimmer, als sowieso befürchtet. Das ist die bittere Bilanz von 18 Monaten Recherche darüber, was in Bremen ab 1941 stattfand – als sich nichtjüdische BremerInnen mehr oder weniger organisiert über das Eigentum ihrer jüdischen NachbarInnen hermachten, die zu „Reichsfeinden“ erklärt und enteignet worden waren und deren Hausrat daraufhin mehrmals wöchentlich an zentralen Orten zu günstigen Preisen versteigert wurde.

18 Monate haben Birga Meyer, Oliver Barth und drei weitere StudentInnen der Bremer Uni vor allem im Staatsarchiv gesucht, um den bremischen Prozess von Enteignung einerseits und von Bereicherung andererseits anhand von Dokumenten nachzuzeichnen, wie er für andere Regionen und Städte in Deutschland bereits belegt ist.

Auf die Initiative ihres Bündnisses geht es auch zurück, in diesem Zusammenhang die Ausstellung „Deutsche verwerten ihre Nachbarn“ in die Villa Ichon zu holen, die (noch bis zum 18. Januar) am Beispiel von Köln zeigt, was ablief. Köln deshalb, weil dort – anders als in Bremen – die Dokumente der Finanzbehörden noch in ausreichendem Umfang vorhanden waren, um eine umfassende Auswertung zu erlauben. In Bremen dagegen mussten die StudentInnen sich auf beispielhafte Betrachtungen beschränken. Die Akten der Oberfinanzdirektion, die bei der Beschlagnahme und Verwertung des Eigentums Vertriebener und Deportierter federführte, gelten hier als verloren. Dennoch reichte das Material aus, um die These zu stützen: „Die ,Arisierung' wurde von unten angetrieben.“

„Es konnte niemand übersehen, was geschah“, stellt die angehende Kulturwissenschaftlerin Birga Meyer fest. Sie hat anhand von Anzeigen in den Bremer Nachrichten nachvollzogen, wie oft der Hausrat von Vertriebenen und Entrechteten unter den Hammer kam – und wie bekannt das gewesen sein muss. Danach fanden die Versteigerungen – übrigens mit Preisbegrenzung nach oben – an drei zentralen Orten statt: In einer großen Turnhalle auf den Häfen (im Krieg zerstört), in einem großen Versteigerungshaus in der Königsstraße im Schnoor (heißt heute Am Landherrenamt, Gebäude 1944 zerstört) und im Hafengelände an der Waller Nordstraße.

Eine bremische Besonderheit: Hier begann schon im Januar 1941 eine Serie von mehreren Auktionen wöchentlich, die sich bis Herbst 1942 auf drei Auktionen täglich an jedem der drei bekannten Orte steigerte. „Dass das jüdisches Eigentum war, war meist leicht ersichtlich“, sagt Meyer. Und Kommilitone Oliver Barth ergänzt: „Bremen gehörte nach Köln und Hamburg zu den ersten Reichsstädten, wo in großem Stil – und noch bevor die Gesetze das so erlaubten – jüdisches Eigentum beschlagnahmt und versteigert wurde.“

Zudem war Bremen angesichts seiner Hafenlage Zentrum von Beschlagnahmeaktionen an Umzugsgütern. Dabei handelte es sich meist um Möbel und Hausrat, dessen Verschickung Flüchttinge über Speditionen veranlasst hatten. Die Güter kamen aus dem gesamten südlichen Binnenland inklusive Österreich. Doch ab 1941 konfiszierte die Bremer Gestapo in den Häfen zunehmend jüdisches Eigentum, dessen Verschickung schon bezahlt war und das bereits bei Speditionen lagerte. Bei 16 bremischen Speditionen übrigens, in denen neun Gerichtsvollzieher ein- und ausgingen – sofern diese nicht mit der Versteigerung der Güter befasst waren, die aus den Wohnungen der jüdischen BremerInnen geholt wurden, die in Konzentrationslager verschleppt wurden.

Wieviel das wirklich war, kann heute niemand sagen. Die Unterlagen sind verloren, die meisten Opfer ermordet. „Nur, wenn Wiedergutmachungsanträge gestellt wurden, konnten wir das überhaupt nachvollziehen“, sagen die Bremer StudentInnen. Sie sind vom Ergebnis ihrer Untersuchungen betroffen. „Ich kann mir Trödelläden und Flohmärkte nach dieser Recherche nur noch ganz ganz schlecht anschauen“, sagt Birga Meyer. Die Bereicherung muss enorm gewesen sein – zudem ab 1942 im Weser-Ems-Raum auch das im besetzten Holland und Belgien beschlagnahmte Eigentum der deportierten JüdInnen verkauft worden sei.

Wie begehrt dieses Raubgut war, belegen nicht nur Anfragen zahlreicher öffentlicher Einrichtungen – von der NS-Frauenschaft und den Flakhelfern Süd bis zu Focke-Museum und Stadtbibliothek – für Bezugsscheine. Vielmehr forderte auch das Reichsministerium für Finanzen untere Dienststellen auf, Verkaufsinteressenten an beschlagnahmten Häusern nicht nach Berlin zu verweisen – da die Flut der Anfragen und Briefe den übrigen Arbeitsablauf massiv behindere. Für Bremen hat Birga Meyer recherchiert, „dass sogar viele gewusst haben müssen, wann deportiert wird“.

Nur so sei erklärbar, dass vor allem Wohnungen nachgefragt wurden, kurz bevor deren BewohnerInnen deportiert wurden. „Als hätten doch viele Leute genau gewusst, was wann passiert – und sich danach eingerichtet“, fasst Birga Meyer zusammen. Eva Rhode

Die Ausstellung ist noch bis zum 18. Januar in der Villa Ichon, Goetheplatz 4, zu sehen: Di-Fr & So 11-18 Uhr. Führungen täglich um 15 Uhr statt, für Schulklassen vormittags auf Anfrage Tel.: 0175-977 68 11.

Heute Abend, 8. Januar, 19.30 Uhr, findet ein Vortrag in der Villa Ichon statt: „Man muss seinen Feinden verzeihen, aber nicht früher als bis sie gehenkt werden.“ Jim G. Tobias und Peter Zinke berichten über Racheaktionen von JüdInnen nach ihrer Befreiung.

Am 15. Januar um 20.00 Uhr hält Hanno Balz einen Vortrag über die „,Arisierung' jüdischen Grundbesitzes in Bremen“. Ort: Landeszentrale für politische Bildung, Osterdeich 6.

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