Schlussverkauf das ganze Jahr

Wenn Händler ihre Waren billig einkaufen, sollen sie diese auch billig verkaufen dürfen, meint der grüne Staatssekretär Matthias Berninger

aus Berlin HANNES KOCH

Im Mittelstand kennen sich die Grünen aus. „Ich habe selbst vier Jahre die Szene der Fahrradläden studiert“, sagt Matthias Berninger, Staatssekretär bei Verbraucherministerin Renate Künast. Beim Verkaufen von Schläuchen, Lenkern und Packtaschen hat Berninger Kenntnisse erworben, die ihm nun in der politischen Debatte nützen: „Wenn der Händler 200 Räder billig einkauft, kann er sie auch mit Rabatt an die Kunden veräußern.“ Dieses Beispiel dient dem grünen Politiker als Beleg, warum die vom ihm vorgeschlagene Liberalisierung des Handels dem Mittelstand keinesfalls schadet: „Das macht die Kleinen nicht kaputt“ – im Gegenteil gewinnen sie neue Kunden.

„Wie billig darf eine Ware sein?“, lautet die umstrittenste Frage am Jahresanfang 2002. Der Textilkonzern C & A hat die Debatte losgetreten, indem er vergangene Woche einen befristeten Preisabschlag von 20 Prozent für alle Waren gewährte – zunächst für Kartenzahler, um die Schlangen an den Kassen im Zuge der Euroumstellung zu verkürzen. Das Landgericht Düsseldorf kassierte die Preissenkung auf der Basis des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG). Die Regelung aus dem Jahre 1909 erlaubt befristete Preissenkungen nur in Ausnahmefällen: Winter- und Sommerschlussverkauf, Firmenjubiläum und Bankrott.

Das wollen die Grünen jetzt ändern, nachdem sie den Aufschrei in der Öffentlichkeit nach dem Düsseldorfer Urteil gehört haben. Die SPD wiegelt ab. Das Bundesjustizministerium verweist auf Arbeitsgruppen. Wirtschaftsminister Werner Müller weilt noch in Urlaub – nur die Grünen hängen sich aus dem Fenster der Regierung. Sie wollen nicht in die Defensive geraten angesichts der Phalanx von Deutschem Industrie- und Handelstag bis zu den Verbraucherzentralen, die die Renovierung des antiquierten Gesetzes verlangen.

Was die ökonomischen Auswirkungen angeht, spricht freilich vieles gegen die Einschätzung des grünen Staatssekretärs. „Die Marktanteile im Einzelhandel werden sich zu den großen Unternehmen verlagern“, wenn Sonderverkäufe mit starken Preissenkungen ständig möglich seien, sagt Jochen Schmidt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Die Begründung ist einfach: Handelsriesen wie C & A, Kaufhof und Metro mit ihren Milliardenumsätzen können sich Kampfpreise länger und öfter leisten als Betriebe mit wenigen Filialen oder Einzelhändler, die nur einen Laden betreiben. Wenn ständig Sonderaktionen stattfänden, würde sich der „Umsatz verlagern“, schätzt DIW-Forscher Schmidt.

Ähnlich argumentiert der Gesamtverband des Deutschen Einzelhandels, der neben den Milliarden-Unternehmen auch den Händler an der Ecke vertritt. „Dann wäre das ganze Jahr Schlussverkauf“, malt Sprecher Hubertus Pellengahr den Teufel an die Wand. Bei Gewinnmargen von zwei bis drei Prozent vor Steuern könne ein guter Teil seiner Klientel nicht mehrere Wochen einen Rabatt von 20 oder 30 Prozent gewähren. Die Folge laut Pellengahr: „Es wird zu einem Ladensterben kommen.“

Genau das aber hatte die Händlerlobby schon befürchtet, als die rot-grüne Regierung im vergangenen Sommer das Rabattgesetz ersatzlos abschaffte. Nun dürfen die Kunden im Geschäft feilschen. Passiert ist seitdem nichts Gravierendes – nicht mehr Konkurse, kein Ladensterben. Doch Hubertus Pellengahr ist um eine Antwort nicht verlegen: Das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb habe Schlimmeres verhindert. Deshalb dürfe man nicht mehr Sonderverkäufe zulassen.

Die Umstrukturierung des Handels geht derweil auch ohne die Reform weiter. Denn die Preise senken und dem Mittelstand das Leben schwer machen dürfen Ketten wie Hennes & Mauritz sowieso. Das UWG verbietet schließlich nur befristete Rabattaktionen, die mit großem Pomp angekündigt werden. Und auch der Mittelstand tut so oder so das, was er die vergangenen 100 Jahre gemacht hat: Er zieht sich aus den Segmenten zurück, die er nicht mehr halten kann und besetzt neue Felder.