Das Ewig-Weibliche zieht ihn hinan

Preview im 3001: Zweifelhaftes Frauenbild in der Sadomaso-Romanze „The Isle“  ■ Von Jakob Hesler

The Isle tourt seit einiger Zeit durch die internationale Festival-szene. Dabei hat der neue Film des Koreaners Kim Ki-Duk nicht nur durch einige Auszeichnungen von sich reden gemacht, sondern auch durch eine erkleckliche Anzahl ausgeknockter Zuschauer. Regelmäßig verlassen sie kreidebleich den Kinosaal oder fallen gar in Ohnmacht. Zuerst in der Szene, in der die männliche Hauptfigur ein Bündel Angelhaken verschluckt, um sich an der Angelschnur selbst die Eingeweide herauszuziehen; dann erneut, wenn die weibliche Hauptfigur das Ritual später wiederholt und sich die Haken in die Vagina steckt, um sich an der Angel aus dem Wasser holen zu lassen.

Sie heißt Hee-Jin und betreibt eine Art Hausboot-Campingplatz für Angler, denen sie tagsüber Lebensmittel und nachts ihren Körper verkauft. Er heißt Hyun-Shik und ist Gast am Angelsee, will allerdings nicht angeln, sondern sich hier in aller Stille umbringen. Hee-Jin rettet ihn, zwischen den beiden entwickelt sich eine sadomasochis-tische Romanze mit den geschilderten Höhepunkten.

Solche Schmerzgrenzüberschreitungen wollen gern aufs Konto filmischer Intensität gebucht werden. Aber statt um eine Poesie der Gewalt handelt es sich bei diesen Schockerszenen um die Prosa der Effekthascherei. Regisseur Kim Ki-Duk übertönt damit, dass er eigentlich bloß eine uralte Scheinwahrheit in Szene setzt. Sie ist nicht nur im asiatischen Kino längst zum Klischee geronnen, wurde dort jedenfalls schon in allen erdenklichen Varianten durchgespielt, von Im Reich der Sinne bis zu Audition: Die Kehrseite von Sex ist Gewalt. Liebe macht abhängig, Liebe tut weh. Das haben wir zu schlucken wie Hyun-Shik seine Haken. Zur Verdeutlichung bringt der dies zwischendurch in einem plakativen Legebild zum Ausdruck: zwei Angelhaken, in Herzform arrangiert. Vielen Dank, wir haben kapiert. Doch warum das so ist, und warum es auch bei Hyun-Shik und Hee-Jin so ist, fragt der Film nicht.

The Isle versucht nicht nur durch blankes Blut zu bestechen, sondern auch durch visuelle Raffinesse. Kim Ki-Duk bemüht eine sorgfältig abgestimmte Farbskala, ausgefeilte Bildkompositionen, extravagante Ausleuchtungen. Doch das erscheint nur als selbstverliebter Stilwille, mit dem die Szenerie in eine latent mythische Aura getaucht wird. Und die ist eigentlich noch ärgerlicher als der vordergründige Gewalteinsatz.

Unter der Wasseroberfläche verbirgt sich augenscheinlich eine tiefere Wahrheit, von der wir nur geheimnisvolle Lichtreflexe zu Gesicht bekommen, die sich in den Wellen brechen. Offensichtlich eine weibliche Wahrheit. In der Welt des umnebelten Gebirgssees bilden Natur und Mensch eine höhere Ganzheit, und deren allegorisches Zentrum ist Hee-Jin als schwimmende Seejungfrau; Typ: heilige Hure.

Von koreanischen Feministinnen wurde The Isle heftig angegriffen – man kann nur sagen, zu Recht. Der Film interessiert sich nicht etwa für den inneren Zusammenhang von Liebe, Gewalt, Geschlecht, sondern betreibt die sensationslüsterne Verherrlichung eines mehr als fragwürdigen Frauenbilds. Sie ist das Geheimnis, ist die Erlösung – des Mannes. Das Ewig-Weibliche zieht ihn hinan, oder auch in die üblichen Untiefen hinab, hier: in den See. Regressive Phantasien, zu denen sich Kim Ki-Duk in einer Schlussmetapher noch mal ganz ausdrücklich bekennt, nunmehr auf rein symbolischer Ebene. Erst jetzt kommt in The Isle eine Insel ins Spiel. Es handelt sich, wie uns dann das allerletzte Bild unmissverständlich klar macht, um den weiblichen Schoß. Das ist wirklich das Letzte.

Preview: heute, 22.30 Uhr, 3001; der Film startet am 17.1.02