Kunst am Metzgerhaken

In der „Fleischerei“ an der Torstraße wird urbanes Strandgut veredelt. „Rohkultur“ nennt das die Künstlergruppe, die nach Satzung und auch sonst nach designkommunistischen Grundsätzen arbeitet

von HENNING KRAUDZUN

Wo früher Würste hingen und Filetstücken hinter dem hell ausgeleuchteten Verkaufstresen ausgebreitet waren, sind jetzt bedruckte und gebastelte Unikate ausgestellt: „Rohkultur“. Das klingt bedeutungsschwer und lässt sich inhaltlich breit walzen. Kultur von der Straße abzuholen und in den eigenen Werkstätten zu veredeln, meinen die Leute des Projekts „beatle print“ aber satzungsgemäß mit diesem Begriff. Er passt ja auch zu den Räumlichkeiten in einer ehemaligen Fleischerei in der Torstraße, wo sie sich mit ihren Druckmaschinen, Computern und Instrumenten so gut wie möglich eingerichtet haben.

„Rohkultur“ ist für sie jedoch vor allem eine Starthilfe für werdende Künstler, die eine Barriere von der Idee zum Produkt überspringen sollen. Diese Ideen, oftmals sind es nur Gedankenblitze, tragen die meisten der bislang erfolglosen Künstler in die Werkstatt von „beatle print“. Und sie hoffen, dass irgendwann einmal aus den unzähligen Ansätzen ein fertiger Entwurf wird.

Hinter der Theke und an den ehemaligen Metzgerhaken der „Fleischerei“ finden sich bereits die Dinge, die nach einer langen Phase des Experimentierens entstanden sind, die Ergebnisse einer schrillen und vieldeutigen Kunstproduktion. Zwar steckt in den gesamten Dingen auch der Oberbegriff Design, nur wird er hier eben anders ausgelegt als in den Hackeschen Höfen. Viel Plüsch, Trash und Gestaltungswitz, aber in völlig ungewöhnlichen Formen. Collagenartige Drucke auf Einkaufstüten und Plattenhüllen, Geldbörsen aus karierten Plastiktischdecken, Taschen aus alten Schlagerplatten und Mützen in allen erdenklichen Variationen sind der Beweis dafür, dass doch noch gute Ideen produziert werden.

„Das ganze Prinzip basiert mehr oder weniger auf learning by doing“, sagt Nina Apin, die seit einem dreiviertel Jahr bei „beatle print“ mitmacht und sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Zweimal in der Woche ist die Siebdruckwerkstatt für jeden offen. Dann werden die Anfänger von erfahrenen Leuten betreut, zwei von ihnen sind in der Werkstatt fest angestellt. Den Entwurf für die eigenen Prints kann man sich im Archiv aussuchen. Bislang haben sich auch alle Drucker von „beatle print“ verpflichtet, ihre Vorlagen in die Gemeinschaft einzubringen. Dieser Designkommunismus, wenn man ihn so nennen möchte, steht somit im krassen Gegensatz zum üblichen Konkurrenzstreben. Das Archiv ist überdies das Gedächtnis der „Fleischerei“: Wer nach einem Entwurf im Lager stöbert, wird auf gemalte Ängste und Wünsche, auf verbalen Frust und markige Sprüche, auf bizarre Comics und neuartige Symbole treffen. Letztendlich trägt man die Ideen anderer durch die Welt. „Was hier passiert, ist eine Form von Kunsttherapie, eine Bewältigung der Probleme mit der eigenen Kreativität“, sagt Nina.

Unten in seinem Atelier hat Frank Dudda längst gelernt, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Früher wohnte er im Heim, war ohne Job und voller Frust, bis er merkte, dass er mit seiner Kunst viel mehr erreichen kann. Als Wanderer durch die Stadt saugt er in seinen Bildern die Atmosphäre Berlins auf und bringt sie mit Buntstiften wieder auf Papier. Im Keller der „Fleischerei“ hat Frank seinen Kreativpool eingerichtet. An den Wänden wird Zeitgeschichte in Papiercollagen reflektiert, rauchgeschwängerte Luft kreist in Dunstschwaden um den großen Arbeitstisch. Aus dem plärrenden Radio dringt Chartmusik in den Raum. Frank blättert in seinem bunten Skizzenbuch, an dem er schon ein Jahr lang malt und es irgendwann einmal bei einem Verlag unterbringen will.

Skurrile Stadtlandschaften wechseln als grelle Panoramen einander ab. Sind es in dem einen Bild überdimensionale Parasiten mit Gasmasken, die über das Stadtgefüge hereinbrechen, fliegt in dem anderen eine Kuh über der surrealen Häuserlandschaft und bleibt im Sendemast des Fernsehturms hängen. „Der Fernsehturm ist für mich das Wichtigste in der Stadt, wie eine Kompassnadel zeigt er den Weg“, sagt Frank.

Dudda ist ohnehin viel unterwegs. Er beklebt die Laternen und Stromkästen mit seinen Stickern, die anderen sammelt er. Durch die bunten Aufkleber will er seine Spuren in der städtischen Topografie hinterlassen, wenn sie nicht wieder verwischt werden. Seine ansehnliche Stickerkollektion hat er bereits in der Volksbühne ausgestellt, ein Sammelsurium von Symbolen und Botschaften. Für ihn bedeuten sie mehr als nur eine Ergänzung der eigenen Bilder. „Ich kann die Vorgänge in der Stadt dadurch genau verfolgen“, sagt er. „Aufkleber sind Zeichen für die Existenz anderer Straßenkünstler.“

Und in den Stickern findet er auch die Inspiration für viele schräge Motive, die er immer nur mit Buntstiften malen kann, weil ihm das Geld für Farben fehlt. Aber ein richtiges Atelier, mit großer Staffelei, teuren Pinseln und edlen Farbpigmenten, das würde auch einen anderen Frank Dudda hervorbringen. „Wenn ich die ganze überhebliche Kunstszene und die cleanen Galerieräume sehe, bin ich eigentlich froh, hier arbeiten zu können“, sagt er.

Mit der Siebdruckwerkstatt als Ausgangspunkt vieler Aktivitäten arbeiten mittlerweile verschiedene Projekte in der „Fleischerei“, die als Zweckbetrieb des Unter Druck e. V., einem Treffpunkt für Wohnungslose mit kultureller Ausrichtung, eingerichtet wurde. So ist die Computerwerkstatt „.txt“ direkt an die Druckräume angeschlossen. Dort kann jeder eigene Vorlagen auf dem Rechner zusammenklicken, Layout und Programmierung für Webseiten übernehmen oder bei den Videostreamprojekten von Szczym und Sebastian mitmachen. Nebenan hat sich „Hoodratz Booking“ ausgebreitet, eine HipHop-Agentur, die Rapper und DJs für Partys vermittelt, Flyer konzipiert, Plattencover gestaltet und Graffiti- Aufträge übernimmt. Im Musikstudio werden außerdem erste Bandaufnahmen produziert. Und das ganze System, die Kommunikation untereinander, versucht Beat zusammenzuhalten. Der Gründer von „beatle print“, der aus der beschaulichen Schweiz nach Berlin kam, wird von den anderen in seiner Autorität akzeptiert.

„Für jeden gibt es eine Form der Beteiligung, nur so wächst die kleine Community“, versucht Mark Thomann das Prinzip der „Fleischerei“ zu umschreiben. Wer nicht mit anderen an gemeinsamen Produkten arbeiten will, habe dort auch nicht viel verloren. „Die Öffentlichkeit suchen alle, aber niemand will irgendeine Form von Konkurrenz“, sagt Mark, der vor einem Jahr in die Druckwerkstatt kam und sich in dem neuen Medium ausprobieren wollte. Auch wenn es gerade nicht harmonisch zugeht und aus den Räumen der HipHopper lautstarkes Gezeter durch die „Fleischerei“ hallt. „Da geht es immer ganz wild um Respekt“, sagt Nina. Ihr Lächeln erstarrt für einen Augenblick. Aber Frank ist schon unterwegs, um zu schlichten. Seine ruhigen Worte lassen den Streit nicht eskalieren. „Früher hat man auch öfters überreagiert und den Streit mit anderen gesucht, jetzt weiß ich, dass es nur zusammen geht“, sagt Frank. Man könne sich nur gegenseitig aus dem Tief heraushieven. Fallen gelassen wird keiner. Denn es geht ja auch noch um Künstlerträume, die verwirklicht werden wollen.

Die „Fleischerei“ in der Torstraße 116/118 hat Mo. bis Fr. von 14 bis 20 Uhr geöffnet. Offene Siebdruckwerkstatt Do/ Fr 14 bis 20 Uhr. www.beatleprint.net