Markt- und Machtfaktor Körper

■ Blutig performend oder im sterilen OP operiert: Auf Kampnagel heißt es ab Mitte Januar einen Monat lang international: Zeig mir Dein Fleisch!

Jeder betreibt täglich Body-Art. Das fängt schon an, wenn wir uns morgens die Haare föhnen oder den Bart abrasieren. Wir gestalten und verändern unseren Körper so, wie wir damit am besten unsere Individualität und Gruppenzugehörigkeit ausdrücken können. Make-up und Mode, Tattoos und Piercing gibt es seit Jahrtausenden in allen Kulturen.

Und doch hat sich die Art und Weise, in der wir unseren Körper zum Kunstwerk erheben, im Laufe der Zeit verändert. Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Körperkunst als Performance-Art zeigt nun Kampnagel von Mitte Januar bis Mitte Februar. Beim Themenblock Zeig mir Dein Fleisch! Body-Art zwischen Pornografie und neue Technologien entwerfen internationale Künstler in Performances, Workshops und Vorträgen ihren ganz speziellen Blick auf den Körper. Ergänzt wird das Programm durch den zweitägigen Kongress Körper und Kapital, der den Körper als Wirtschafts- und Machtfaktor untersucht, und eine Filmreihe im benachbarten Alabama-Kino.

Allen Künstlern geht es um einetotale Grenzüberschreitung, die Schmerzen, Tabus oder scheinbar unabänderliche Tatsachen wie das biologische Geschlecht hinter sich lässt. „Mein Körper ist meine Software“, sagt etwa die französische Multimedia- und Performancekünstlerin Orlan. Sie hat ihr Gesicht sukzessive nach dem Vorbild klassischer Schönheitsideale verändern lassen und die Operationen weltweit als Live-Performances ausgestrahlt. Auf Kampnagel wird sie sich aber nicht live unters Messer legen, ein Vortrag und ein Dokumentarfilm müssen genügen.

Spektakuläres verspricht dagegen die Uraufführung JOYCE des Amerikaners Ron Athey. In seiner Performance will er mit großformatigen Videoprojektionen den Wahn religiöser Obsessionen atta-ckieren und Folgen wie Inzest und Selbstverstümmelung visualisieren. Mit seinem sadomasochistischen „Theater des Schmerzes“ hat der HIV-infizierte Künstler schon früher für Skandale gesorgt. So schnitt Athey mit einem Messer grafische Muster in den Rücken eines Darstellers. Auf die blutende Wunde presste er Taschentücher und zog diese an einer Leine über die Köpfe des Publikums hinweg. Ein Zuschauer alarmierte die Gesundheitsbehörde. Er fürchtete, mit dem HIV-Virus angesteckt worden zu sein.

Radikal geht auch Kira O'Reilly mit den Grenzen ihres Körpers um. In ihrer neuen Performance Succour/ed erforscht die Irin die traditionelle Technik des Schröpfens am eigenen Leib: Narben als bewusst gesetzte Spuren des Körpers. Eine Synthese zwischen Realität und Virtualität versuchen der Tänzer Chris Haring und der Komponist und Videokünstler Klaus Obermaier in ihrem hoch gelobten Stück D.A.V.E. Harings Körper dient als Projektionsfläche für Videos, seine nackte Brust löst sich in den Welten digitaler Bilder auf.

Neben dieser Zukunftsvision mag die Eröffnungs-Performance Herstory of Porn der amerikanischen Porno-Legende Annie Sprinkle richtig anachronistisch wirken. Fleischbeschau pur.

Karin Liebe

Zeig mir dein Fleisch! Body-Art zwischen Pornografie und neue Technologien, 15.1. bis 16.2., vollständiges Programm unter www.kampnagel.de