Karg und nicht zu fassen

Für ihren Debütroman Ich muss los erhält die Schriftstellerin Annette Pehnt heute im Literaturhaus den Mara Cassens Preis  ■ Von Karin Liebe

Am Anfang stand ein Name: Dorst. Er schoss Annette Pehnt einfach so durch den Kopf und reizte sie dermaßen, dass sie eine Romanfigur daraus entwickelte. Ein Einzelgänger sollte Dorst sein, jemand, der nach eigenen Gesetzen lebt und für den Nähe zu anderen Menschen nicht im Lebensentwurf vorgesehen ist.

Trotzdem gesellte die 34-jährige Autorin der Hauptfigur Dorst noch Personen mit ähnlich merkwürdigen Namen zu: Elner, Herr Quoirin, Tante Lollo. Dorst liebt oder hasst sie, aber leben kann er nicht mit ihnen. Dorst wollte Annette Pehnt ihren schmalen Debütroman nennen. Doch der Piper Verlag hatte Bedenken. Der Titel erinnere zu sehr an Tankred Dorst und suggeriere eine Biografie des bekannten Autors. Jetzt heißt ihr im Frühjahr letzten Jahres erschienener Erstling Ich muss los. Diese drei Worte sind ein Standardsatz vom Einser-Abiturient Dorst, der zum Leidwesen seiner ehrgeizigen Mutter nicht die Mediziner-Laufbahn einschlägt, sondern als Stadtführer skurrile Geschichten erfindet. Immer wenn es ihm zu eng wird, ob im kissenwarmen Bett seiner Freundin Elner oder am Frühstückstisch, wenn sie ihm als Vertrauensbeweis ihren Haustürschlüssel schenken will, steht er auf und sagt: „Ich muss los.“

An den Romantitel hat sich Annette Pehnt erst langsam gewöhnt. Etwas zu knackig sei damit dieser sperrige Typ charakterisiert, den auch sie nie richtig in den Griff bekommen habe. Vielleicht macht gerade das auch den eigentümlichen Reiz ihres Romans aus: Er belässt eine Aura des Unbegreiflichen um seinen Helden. Und Menschen, die schwer zu fassen sind, das weiß wohl jeder aus eigener (leidvoller) Erfahrung, faszinieren oft auch am meisten.

Nüchtern, aber raffiniert erzählt Pehnt mit ständigen Rückblenden in Dorsts Kindheit, die eher Entwicklungslinien zeichnen, als Erklärungshilfen bieten. Großes Lob bekam sie für ihren Erstling von der Kritikerzunft. Ihre Tätigkeit als Literaturkritikerin hat die promovierte Literaturwissenschaftlerin, die mit Mann und zwei Kindern in Freiburg lebt, seit dem Überraschungserfolg drastisch reduziert. Früher schrieb sie für FAZ und Badische Zeitung, jetzt hält sie eine Kritik unter Kollegen für unsolidarisch.

Weil sie sich mittlerweile voll und ganz aufs literarische Schreiben konzentriert, kommt der 1967 in Köln geborenen Schriftstellerin der mit 20 000 Mark dotierte Mara Cassens Preis für den besten deutschen Debütroman des Jahres 2001 natürlich sehr gelegen: Heute findet die Preisverleihung im Literaturhaus statt. Nach Preisträgern wie Marlene Streerutwitz (1997) und John von Düffel (1999) zeigte sich die Leserjury aus Mitgliedern des Literaturhausvereins von der „emotionalen Tiefe und sprachlichen Dichte“ der Pehntschen Prosa beeindruckt. Sie attestierte dem Roman die Attribute „kraft- und phantasievoll, lakonisch, liebevoll und ironisch“ und beschied: „ein einfühlsamer und berührender Anti-Entwicklungsroman“.

Eine Lobeshymne, die man nicht gänzlich teilen muss. So schweigsam wie der Held sich gibt, so karg ist auch die Sprache der Autorin. Das scheint zwar auf den ersten Blick die adäquate Erzählweise zu sein, doch hat die Lakonie ihren Preis: Ein nachdrückliches Bild setzt sich analog zum flüchtenden Helden nicht im Kopf des Lesers fest. Was bleibt, ist ein diffuses Gefühl der Sympathie für einen seltsamen Menschen namens Dorst.

Preisverleihung am 10. Januar im Literaturhaus, 20 Uhr