: Senioren auf dem Rennrad
■ Von echt deutschem Sportsgeist, Durchhalteparolen und ganzen Kerlen: Das Lichtmeß zeigt in seiner Reihe „Rad ab?“ Bernd Mosblechs „Alte Kameraden“
Sport verlängert das Leben. Schön, wenn sich das einmal am Beispiel wirklich alter Männer bestätigen lässt. Die Helden in Bernd Mosblechs Alte Kameraden sind fast alle über 80 Jahre alt und noch immer aktive Radfahrer. Mehr als das, sie sind Radrennfahrer und zwar alter Schule. Gedopt gewesen sind sie nie, sagen sie wenigstens. Zeigen stolz ihre Pokale, einige noch aus den letzten Jahren. Und im „WK2“ haben sie gekämpft, wo es auch Trophäen, sprich Orden, gab. Und sie geben Durchhalteparolen aus, hier wie dort. Spätestens jetzt könnte einem schlecht werden. Wird es aber nicht, denn Mosblech hat mit seiner Dokumentation 1990 einen außerordentlich geschickten Film gemacht und dafür prompt den Adolf Grimme-Preis bekommen.
Mosblech, der unter anderem Dokus über das Massaker von Wounded Knee oder über belgischen und deutschen Kolonialismus gedreht sowie bei zahlreichen anderen als Kameramann oder Cutter mitgewirkt hat, tritt mit Alte Kameraden einmal mehr den Beweis an, dass der Dokumentarfilm auf einen gesprochenen Kommentar verzichten kann – gesetzt den Fall, man beherrscht Schnitt und Montage. Und dass er sich dabei keineswegs zum Komplizen des dummen Zeugs machen muss, das im Interview erzählt wird.
Denn es reicht, genug Männer zu Wort kommen zu lassen, um Widersprüche zwischen ihnen abbilden zu können; oder einmal unauffällig ein Charles Bronson-Poster mit ins Bild zu nehmen, nachdem die Alten ihre Vorstellungen von ganzen Kerlen und echten Männern zum Besten gegeben haben. Oder man konfrontiert ihre Einlassungen zum Thema Kameradschaft und Männerfreundschaft – „Nicht, was Sie glauben!“ – mit Sequenzen gegenseitiger Beinmassage.
Einer, der 89-jährige Christian Pützfeld, ist so stolz auf seine immer noch wohlgeformten Beine, selbst seine Frau sei neidisch da-rauf, da könnte er ewig drüber reden. Macht er auch. Bis Mosblech den 84-jährigen „Kameraden“ Eddy Bisson zahllose Gehässigkeiten über den eitlen Menschen ausschütten lässt. Im übrigen habe Pützfeld beim letzten Rennen nur deshalb besser abgeschnitten als er selbst, weil er gedopt gewesen sei.
Eine Komplizität mit den Interviewten verhindern, neben den einfallsreichen Bildern Mosblechs, vor allem diese Hasstiraden. Ohne es je zu überreizen, steigert Mosblech deren Frequenz im Laufe des Films. Doch die simple und in der Regel selbstgerechte Distanzierung ist seine Sache nicht. Mitleiderregend sind Szenen wie die, in der einem der Alten von seinem jungen Arzt nahegelegt wird, wegen seines angeschlagenen Herzens am nächsten Radrennen nicht teilzunehmen. So sitzt er dann verlassen in seinem Krankenhausbett, starrt ins Leere, massiert sich schließlich selbst die schönen Beine. Gegen so etwas vermag auch der beste, an Turnvater Jahn geschulte deutsche Sportsgeist nichts auszurichten. Das Lichtmeß zeigt den Film im Rahmen seiner Reihe „Rad ab?“. Alternative lebensverlängernde Maßnahmen entnehmen Sie bitte den Zeitschriften Ihres Arztes oder lassen es bleiben.
Christiane Müller-Lobeck
heute (in Anwesenheit des Regisseurs), 20 Uhr, Lichtmeß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen