Die Energiewende voranbringen

Vordenker in Thüringen: Das Ehepaar Mehr setzt auf einen Energie-Mix aus Wind, Sonne und Biopflanzenöl. Auch für die Agrargenossenschaften gebe es große Potenziale. Auf Stilllegungsflächen ließe sich Raps anbauen und zu Kraftstoff pressen

von DIERK JENSEN

Alles, was sich auf dem Energiehof im ostthüringischen Wernsdorf dreht, bewegt oder fährt, wird mit Energie von Wind, Sonne und Pflanzenöl gespeist. Auf den Dächern des früher landwirtschaftlich genutzten Vierseithofes sind Solar- und Photovoltaikanlagen installiert, und wo früher Kühe standen, befindet sich heute ein Tank mit Pflanzenöl. Damit wird das Auto der Familie betankt. Obendrein drehen sich die Flügel einer nahe am Hof gelegenen Windmühle mit einer Leistung von 200 Kilowatt (kW) – die erste übrigens, die in Thüringen bereits Ende 1992 ans Netz ging.

In der einstigen Hofscheune haben sich Anneliese und Dietrich Mehr ihr Büro eingerichtet. Energiesparlampen werfen Licht, hinter dem Schreibtisch piept der Konverter ihrer Solaranlage. „Die sind lauter, als wir mal gedacht haben“, erklärt der 60-jährige Dietrich Mehr, der sich 1990, direkt nach der Wende, mit seinem „Ingenieurbüro für Erneuerbare Energien“ selbstständig machte. Sehr mutig, sah es doch auf dem Gebiet der DDR mit Energieerzeugung aus Wind, Sonne und Biomasse sehr bescheiden aus.

Doch der Fertigungstechniker war schon damals sicher, dass dies die Zukunft sein würde. Die 5.000 Mark Abfindung, die er von seinem früheren Arbeitgeber Elektronic Gera erhielt, investierte er in eine 2,1 kW große Photovoltaikanlage, die damals im Rahmen des 1.000-Dächer-Programms gefördert wurde. Auch Windkraft schwirrte schon in den Köpfen von Anneliese und Dietrich. „Aber das war ja noch so teuer.“ Ihr Sohn Ralf brachte das Windgeschäft schließlich ins Rollen. Am Gymnasium in Gera schrieb er eine Projektarbeit, die den Windstandort Ostthüringen anhand aller verfügbaren Daten analysierte. Das war die kalkulatorische Basis, um das Risiko einer ersten Mühle in thüringischen Gefilden in Angriff zu nehmen. Hilfreich für die Wind-Avantgardisten weitab von der Küste war auch die Teilnahme am 250-Megawatt-Windprogramm, bei dem man Anfang der 90er-Jahre über die übliche Vergütung hinaus sechs Pfennig pro eingespeiste Kilowattstunde zusätzlich bekam. Außerdem erhielten die Mehrs aus einem Förderprogramm des Landes Thüringen einen 20-prozentigen Zuschuss.

„Am ersten Betriebstag wehte schöner Wind, die Anlage lief auf Volllast“, erinnert sich Dietrich Mehr. Auch in den Monaten nach dem Betriebsstart lief die Mühle zuverlässig. So wurde das kleine Wernsdorf plötzlich ein Wallfahrtsort für Windinteressierte aus der ganzen Region. „Das wurde zum Selbstläufer“, sagt Mehr in seiner ruhigen Art. Fortan waren er und seine Frau in der Projektierung und Planung von Windkraftanlagen involviert. Bis heute haben sie rund 30 Windkraftanlagen federführend auf den Weg gebracht.

Derzeit steht eine 850er Anlage im benachbarten Korbußen kurz vor dem Start. Betreiber sind 18 Kommanditisten, die sich von 10.000 bis 100.000 Mark an dem 1,6 Millionen Projekt beteiligt haben. „Für solche Vorhaben müssen wir nicht mehr großartig werben“, freut sich Mehr. Er werde ständig gefragt, wann wieder was gebaut werde.

„Unser Ziel ist es, weitere Betreibermodelle zu initiieren“, sagt Anneliese Mehr, die seit 1997 Landesvorsitzende des Bundesverbandes WindEnergie (BWE) in Thüringen ist. Das aber wird schwieriger. Die Landespolitik macht der großen Nachfrage einen Strich durch die Rechnung. Die in den Regionalen Raumordnungsplänen verzeichneten Vorrangstandorte für Windenergie sind so gut wie ausgeschöpft und von einer Überarbeitung dieser Pläne mag das zuständige Landesamt derzeit nichts wissen.

Deshalb hat der BWE-Landesverband zwei Gemeinden aus Nordthüringen ermutigt, eine Normenkontrollklage einzureichen, um mit der Windkraft in diesem Bundesland weiter voranzukommen. Dabei gehören die Mehrs nicht zu denen, die Argumente gegen Windkraft, ob sie nun von Seiten des Naturschutzes oder von Anwohnern kommen, ignorieren. „Wir wollen mit Augenmaß die Energiewende voranbringen.“

Dabei setzen die Mehrs auf den Energie-Mix. So haben sie ihren Golf-Diesel mittlerweile auf den Antrieb mit Pflanzenöl umgerüstet. Der Umbau hat 6.300 Mark gekostet. „Diese Kosten haben sich nach drei Jahren amortisiert“, zeigt sich Dietrich Mehr vom Antriebssaft Pflanzenöl begeistert. Seine Hauptargumente: Man zahlt pro 100 Kilometer rund drei Mark Spritgeld weniger und überdies bleiben der Umwelt zehn Tonnen Kohlendioxid erspart.

Gerade für die Agrargenossenschaften sieht er große Potenziale schlummern. „Die können auf ihren Stilllegungsflächen Raps anbauen, selber zu Kraftstoff pressen und ihren Maschinenpark damit antreiben“, denkt Mehr schon mal vor.