nebensachen aus istanbul
: Von der Unbekümmertheit des Show-TV

Edi, der ganz normale Armenier

Eine der ersten Sachen, die Auslandskorrespondenten lernen müssen, ist, dass sie in Konjunkturzyklen arbeiten. Das sind politische Konjunkturen und intellektuelle Moden, die im Herkunftsland aus einem Gemisch diverser Aktualitäten und innenpolitischer Fragestellungen entstehen und letztlich dazu führen, ob ein Land gerade gefragt ist.

Seit der Westen nun weltweit im so genannten Antiterrorkrieg des islamischen Fundamentalismus bekämpft, sind Fragen nach dem Zusammenleben von Christen und Muslimen in Mode gekommen. Dabei geht es dann darum, ob Muslime in Deutschland Moscheen mit Minarett bauen dürfen, und vor allem darum, wie hoch das Minarett dann sein darf.

Fast immer fällt findigen Diskutanten in diesem Zusammenhang die schlaue Frage ein, wie das denn mit christlichen Kirchen in islamischen Ländern sei. Damit kann man gut punkten. Korrespondenten aus der islamischen Welt müssen dann nämlich eingestehen, dass es tatsächlich schwierig ist mit Kirchenneubauten in islamischen Ländern und dass die Lage der christlichen Minderheiten in der Regel besser sein könnte, als sie ist. Aus der Türkei weiß man, dass die christlichen Minderheiten im Osten des Landes einem großen Druck ausgesetzt sind und sie deshalb schon fast gänzlich nach Europa ausgewandert sind.

Auch die griechische Gemeinde in Istanbul war in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich geschrumpft, und von den Armeniern ist bekannt, dass der türkische Staat den Völkermord in der Endphase des Osmanischen Reiches bis heute bestreitet. Dennoch gibt es gerade in Istanbul rund 100.000 Armenier, die hier mehr oder weniger normal leben. Einer von ihnen ist Edward Bozukluoglu, genannt Edi, ein gut aussehender junger Mann Mitte zwanzig. Edi bewarb sich bei Show-TV, einem der Privatsender, die sich besonders durch Krawall profilieren, als Teilnehmer der hiesigen „Big Brother“-Version. Der gut aussehnde Edi blieb übrig und gewann. Während seiner Zeit im Container machte Edi kein Geheimnis daraus, dass er Christ ist. Er trug gut sichtbar ein Kreuz um den Hals und bekreuzigte sich auch ab und an mal. Die armenische Gemeinde horchte auf. War das ein Zeichen für mehr Toleranz?

Agos, eine linksliberale armenische Wochenzeitung, lud Edi stolz zum Interview, um der Gemeinde ihren Helden zu präsentieren. Dabei erzählte Edi, was er so gemacht hat und was er im Leben noch erreichen möchte. Also Edi möchte reich werden, er liebt schnelle Autos und hofft auf eine große Karriere. Bevor er in den Container kam, war er beim Militär. Man wollte ihn, erzählte Edi, irgendwo in der Etappe in Iskenderun beschäftigen, aber da habe er nicht mitgemacht. Freiwillig meldete sich Edi zu den Spezialtruppen, den berüchtigten Özel-Teams, die im Südosten gegen die kurdische Guerilla eingesetzt wurden. Edi ist stolz auf sein Land.

Was, fragte Yilderim Türkler, ein linker Kolumnist der Zeitung Radikal, daraufhin entsetzt seine Leser, unterscheidet Edi eigentlich von einem beliebigen anderen Türken muslimischen Glaubens? Die Antwort ist: Nichts. Den Zuschauer von Show-TV war Edis Christsein offenbar völlig gleichgültig. Ohne dass er darüber reden musste, wussten sie: Er ist einer von ihnen. JÜRGEN GOTTSCHLICH