Die Kritiker des Kreml

Russlands letzter unabhängiger Fernsehsender soll dichtmachen. Trotz geringer Chancen wollen sich nicht alle mit dem Richterbeschluss abfinden

aus Moskau ZITA AFFENTRANGER

Das Ende von TW 6, Russlands einzigem unabhängigen Fernsehsender, wird sich wohl nicht mehr abwenden lassen. Dennoch ruft der Schließungsbeschluss des höchsten Moskauer Schiedsgerichts Proteste hervor. Bei einer Demonstration machten Verfechter der Pressefreiheit am Montag ihrem Ärger Luft. Die russische Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta klagte gestern: Seit die Medien zur Zielscheibe der Staatsmacht geworden seien, fragten immer mehr Menschen: „Wer wird der Nächste sein?“

Journalisten und Politiker haben den Schließungsbeschluss scharf kritisiert. Der Entscheid wird nicht nur als Schlag gegen die ohnehin schon bedrängte Meinungsfreiheit empfunden, er stellt auch der russischen Justiz ein weiteres Armutszeugnis aus. Manche Kritiker fürchten, die Beispiele NTW und TW 6 könnten Schule machen und Provinzfürsten dazu ermutigen, kritische Medien mit Hilfe der Justiz zum Schweigen zu bringen.

Im Sommer hatte der Ölkonzern Lukoil, der mit 15 Prozent an dem Unternehmen beteiligt ist, TW 6 aufgrund eines Gesetzes verklagt, das von einem Unternehmen ausgeglichene Finanzen verlangt. Kein anderes Unternehmen in Russland, und sei es noch so marode, wird an dieser veralteten Regelung gemessen. Klar ist: Das Ende von TW 6 hat nichts mit Wirtschaft zu tun, dafür umso mehr mit Politik.

Jewgeni Kisljow, Chefredakteur des Senders, erklärte, die Richter hätten an TW 6 einen „Auftragsmord begangen“. Er hegt keinen Zweifel daran, dass die Auftraggeber im Keml zu suchen sind. Dem freilich ist der letzte Sender, den er nicht unter seiner Kontrolle hat, ein Dorn im Auge – zumal dort prominente Journalisten arbeiten, welche die Regierung schon an ihrem alten Arbeitsplatz, dem TV-Kanal NTW, geärgert hatten. Der Sender war im Frühjahr mit Hilfe des Gasgiganten Gasprom in Griffweite des Kreml gebracht worden.

Kampf gegen Putin

Damals verließen viele Journalisten den Sender aus Protest gegen das neue Management. Ihnen bot der Finanzmagnat Boris Beresowski, einst die graue Eminenz im Kreml, Asyl bei TW 6. Er besitzt 75 Prozent des Kanals. Beresowski und Putin scheinen inzwischen zu Intimfeinden geworden zu sein, und der Finanzmagnat hat unlängst offen erklärt, dass TW 6 für ihn nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Gründen wichtig sei: als Mittel im Kampf gegen Putin.

Noch ist TW 6 auf Sendung. Eine Aktionärsversammlung, welche vergangenen Montag die Liquidation hätte vorbereiten sollen, musste verschoben werden, weil das nötige Quorum nicht erreicht wurde. Auch Optimisten müssten einsehen, dass die Zukunftsaussichten des Senders schlecht sind: Das Urteil des höchsten Schiedsgerichts kann nicht angefochten werden.

Doch aufgeben ist nicht: Man werde so lange weiterarbeiten, bis der Sender wirklich geschlossen werde, hieß es im Fernsehteam, und man wolle das Verfassungsgericht anrufen. Zudem wurde Medienminister Michail Lesin am Montag aufgefordert, die Senderechte des Kanals zu kassieren, damit TW 6 in eine neue Gesellschaft umgewandelt werden und sich die Lizenz zurückholen kann.

Der Minderheitsbesitzer Lukoil hegt ähnliche Zukunftspläne; auch er will sich die Sendelizenz sichern. Dabei würde Lukoil einige Journalisten übernehmen, die dem Sender ein neues Image verschaffen sollten, hieß es. Sicherlich nicht unter den Auserwählten dürfte der harte Kern des alten NTW-Teams sein. Einige von ihnen haben angekündigt, sie wollten in den Internetbereich abwandern. Andere planen, dem Journalismus ganz den Rücken zu kehren.