Unbesiegbar ist nicht unverletzlich

■ Zum Start seines Spielfilms Invincible – Unbesiegbar: Ein Gespräch mit Werner Herzog

Zusammen mit Volker Schlön-dorff, Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders machte Werner Herzog in den 70ern den bundesdeutschen Film international bekannt. Legendär ist seine Zusammenarbeit mit Klaus Kinski und die gemeinsamen Filme Aguirre der Zorn Gottes (1972), Nosferatu (1978), Woyzeck (1979) und Fitzcarraldo (1982). Danach wurde es ruhiger um den Regisseur, der seit Mitte der 80er fast nur noch Dokumentarfilme drehte. Ein Comeback feierte er vor drei Jahren mit dem Film über Klaus Kinski Geliebter Feind. Nun kommt ein neuer Spielfilm in die Kinos: Invincible über einen jüdischen Schmied aus Ostpolen, der unter dem Magier Jan Erik Hanussen am Ende der Weimarer Republik in Berlin Karriere machte.

taz hamburg: Zishe Breitbart, ein gutmütiger Koloss von einem Mann, und Hanussen, ein genialer, zwielichtiger Hochstapler, welche Männerfigur hat Sie mehr interessiert?

Werner Herzog: Beide haben mich sehr fasziniert, und zwar nicht nur als Figuren einer Geschichte, sondern auch als die Menschen, die dahinter stecken. Tim Roth ist ein ganz begnadeter Mann und der starke Mann Jouko Ahola war zufälligerweise wirklich stärkster Mann der Welt, also amtierender Weltmeister, der kann tatsächlich 1.000 Pfund vom Boden hochlupfen. Der war sehr sehr beeindru-ckend.

In Ihren Filmen interessieren Sie sich oft für exzentrische Männer...

Das ist nie so richtig geplant, ich stolpere da auf einmal über eine ganz großartige Geschichte und will sie unbedingt machen. Fitzcarraldo beispielsweise erlebt nur Niederlagen und ist großartig dabei, und Aguirre scheitert im Wahnsinn, umgeben von Hunderten von Affen, die sein Floß überrannt haben. Auch bei den Männern in Invincible handelt es sich nicht um wirklich unbesiegbare Machos.

Zishe Breitbart wandert dann wie ein Prophet durch die Dörfer und warnt sein Volk vor der Gefahr durch die Nazis. Aber keiner glaubt ihm. Ist er eine männliche Kassandra-Figur?

Es ist auf einmal eine Hellsicht, fast als wäre der Hellseher Hanussen jetzt in ihm weiter am Leben. Gleichzeitig kann er das gar nicht ausdrücken. Sie sagen Kassandra, ich sehe es eher wie Moses und Aaron. Das alte Testament beschreibt Moses als schwer von Zunge. Er kann gar nicht richtig reden. Das heißt, sein Bruder muss in der Öffentlichkeit für ihn sprechen. Das fand ich sehr schön, weil sich Zishe auch als neuen Samson sieht, der sein Volk beschützen muss, und er braucht einen kleinen neunjährigen Jungen, der flink ist im Reden, um für ihn dann auch zu sprechen.

War es nicht ein Risiko, die Hauptrolle mit einem Laien zu besetzen und Jouko Ahola gegen Tim Roth spielen zu lassen ?

Für mich gibt es nur gute oder schlechte Darsteller. Zwei Tage nach Drehbeginn kam Tim Roth zu mir und druckste so seltsam herum. Bis ich schließlich sagte: „So, komm, Hosen runter, was ist denn los.“ Da sagt er mir, dieser Jouko Ahola spielt mich an die Wand, was mache ich denn jetzt überhaupt. Ich sagte, Tim, du gibst jetzt alles, was in dir ist, und dann wird sich das schon zurecht rücken; und wir lachten dann auch wieder darüber, aber es war auch etwas ernst Gemeintes dabei. Dieser starke Mann hat schon eine ganz besondere Ausstrahlung.

Hat die Naivität der Hauptfigur etwas Autobiographisches?

Man sieht auch, wie er zum ers-ten Mal telefoniert und gar nicht mit diesem Apparat zu Rande kommt. Ich habe tatsächlich mit 17 zum ersten Mal telefoniert. Das ist unvorstellbar für die heutigen Kids, von der Existenz des Kinos wusste ich bis zu meinem elften Lebensjahr gar nichts. Und wenn mal ein Auto vorbeifuhr, rannten wir, um zu schauen. Wir mussten unsere Spielzeuge selber erfinden, unsere Spiele erfinden, unsere Geschichten erfinden.

Kommt daher auch Ihre Freude am Inszenieren? So wie in Geliebter Feind, als sie dem bürgerlichen Ehepaar zu Beginn des Films genüsslich beschreiben, wie Kinski einst diese Wohnung auseinandernahm...

Sie sprechen auf etwas an, das den ganzen Film durchzieht. Er ist sehr humorvoll. Zum Glück hatte ich den Nerv, diesen Film erst acht Jahre nach Kinskis Tod zu machen, als also die Zeit für das Mysteriöse – was sie an sich hat und was sie verändern kann – eine ganz neue Sehweise gebracht hat. Was bizarr und wahnwitzig war, sehe ich nur noch mit Humor.

Interview: Jörg Taszman

Do, 21.15 Uhr, So, 20.30 Uhr, Mo + Di, 17 Uhr, Mi, 21.15 Uhr, Metropolis