Mit Fragen zu verstehen versuchen

Helmut Kohl war bei Kerner. Was hat es gebracht? Dem ZDF gute Quoten, dem Altkanzler einen Fernsehauftritt und dem Publikum einen Einblick in die Formulierungskunst eines höflichen Interviewers, der manchmal versucht kritisch zu sein

von ALEXANDER KÜHN

Schwitzt man unterm Auge? Oder waren das wirklich … Bild ließ gestern keinen Zweifel: Es waren Tränen, die Helmut Kohl sich da wegwischte, als er sich für Johannes B. Kerner und 3,13 Millionen ZDF-Zuschauer an seine verstorbene Frau erinnerte. „Es war“, begann das Blatt seinen großen Kohl-bei-Kerner-Artikel, „der bewegendste TV-Auftritt des großen CDU-Politikers!“

Nun muss man dazu sagen, dass man die großen TV-Auftritte des tatsächlich hoch gewachsenen CDU-Politikers an einer Hand abzählen kann. Und nun, gerade mal drei Wochen nach seinem Besuch bei Sandra Maischberger, war der Altkanzler zu Kerner gekommen. Zu einem Moderator also, der ihn sicher nicht zu hart anfasse würde.

Üblicherweise kommen Kerners Gäste durch eine Schwingtür ins Studio, ziehen unter den Klängen der Kerner-Fanfare an 160 applaudierenden Zuschauern vorbei zum Gastgeber aufs Podest. Nicht so Helmut Kohl. Der ist von Anfang an da, Publikum ist nicht da, und das Gespräch läuft unter drei: Kerner, Kohl und Kameras. Die Frage, ob die Tränen inszeniert sind, ist müßig. Wann inszenieren Politiker sich nicht, könnte man fragen – oder mit gleichem Recht auch einem Helmut Kohl menschliche Regungen zugestehen. Dass er ausgerechnet jetzt in die Show gekommen war, kommt der Kerner-Redaktion gelegen; sie muss beweisen, dass sie zu Recht viermal die Woche das ZDF-Programm füllen darf. Et voilà: Bio hatte zur gleichen Zeit trotz Britney Spears nur 1,44 Millionen Zuschauer.

Auch Kohl kommt der Auftritt recht: Er ist noch in Trauer, sagt seine schwarze Krawatte – doch er kann schon wieder, bedingt, öffentlich über den Freitod seiner Frau reden. Zumal demnächst ein Buch über Hannelore Kohl erscheint. Außerdem rückt die Bundestagswahl immer näher. Klar, dass der alte Kampfpanzer sich da nicht ganz heraushalten wird. Deshalb beginnt Kerner das Gespräch mit der Kanzlerkandidatur. Kohl richtet ein „sehr persönliches Wort des Respektes“ an Angela Merkel.

Kohl kokettiert damit, dass er ein „Auslaufmodell“ sei, ein „Oldtimer“ und dass er sich in einem Lebensabschnitt befinde, „wo Sie nicht wissen, wie viel Zeit Sie noch haben“. Als es darum geht, die politischen Feinde abzuwatschen, zeigt Kohl dagegen noch sehr viel Energie und ist so, wie er immer war. Passend zu Kerners Fragen blendet die Regie ein, was Kohl ist, war oder getan hat: „Dr. Helmut Kohl – ehemaliger CDU-Vorsitzender“. „Dr. Helmut Kohl – Kanzler der Einheit“. „Dr. Helmut Kohl – heiratete 1960 Hannelore.“ Wenn Kerner brisante Themen anschneidet, hört sich das immer sehr lustig an. „Ich möchte mit einigen Fragen versuchen zu verstehen, warum sie so gehandelt haben“, leitet Kerner den Fragekomplex „Spendenaffäre“ ein. Und Kohl antwortet ähnlich wie bei Maischberger: Ja, es tut ihm Leid. Nein, er werde die Spender nicht nennen.

Besonders schön sind die Stellen, wo Kerner dem Kanzler so viel Honig ums Maul schmiert, dass der sich dagegen wehren muss. Kanzler der Einheit? „Das interessiert mich überhaupt nicht.“ Vater des Euro? Ach ja, er werde noch immer gebeten, Autogramme zu geben mit Datum vom 1. 1. 2002. Damit keiner auf die Idee kommt, er habe Helmut Kohl einen Gefallen tun wollen, erklärt JBK heute in der Woche, dass er ihn nie gewählt habe und ein SPD-Parteibuch besitze.