strübel & passig
: Unheilbare Fälle

Jeder kennt die Situation. Das Telefon klingelt, im Chat geht ein Fenster auf, und ins Gespräch torkelt ein Mensch am Ende seiner Kräfte. „Hilf mir! Ich muss eine E-Mail wegschicken, und das geht nicht!“, fleht er. „Wieso kann ich das nicht wegschicken! Ich hab schon 100-mal auf Senden gedrückt! Und die kleine Hand erscheint auch!“ Solchen Leuten kommt gern mal das Fragezeichen abhanden.

Erste-Hilfe-Maßnahmen entlocken dem Aufgebrachten nur ein vorwurfsvolles „Versteh kein Wort!“. Es wäre hartherzig, jetzt Wendungen wie „Ausgang des Menschen aus selbst verschuldeter Unmündigkeit“ und „Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen“, ins Gespräch zu bringen. Er ist ja nicht dumm, der hilfesuchende Mensch. Er ist ohne weiteres in der Lage, Aufsätze über „Die ökonomische Interdependenz von Raum und Zeit“ zu schreiben, bei der Einkommensteuer zu mogeln und sein Auto zu reparieren. Das macht es so schwer, sein Verhalten zu verstehen. Es gibt jedoch gute Gründe für seine Verstocktheit, und sie lauten nicht etwa „temporäre Besessenheit durch technikfeindliche Dämonen“ oder „beginnende Altersdemenz“.

Wer unerwartet beim Ausführen von Routineaufgaben scheitert, fühlt sich wie jemand, dem beim In-der-Nase-Bohren der Arm abfällt. Umgehend beginnt der Körper mit der Ausschüttung zahlreicher Substanzen, die alle weiteren Verständnisprozesse zum Erliegen kommen lassen. Der intellektuelle Stoffwechsel beschränkt sich fortan auf atavistische Reaktionen wie „Ich hab alles genau so gemacht wie sonst auch!“, „Da passiert nichts!“ und „So eine Scheiße!“. Mit Menschen in diesem Zustand muss man langsam, fest und geduldig sprechen wie mit Unfallopfern.

Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Verzweifelten bereits eine vage Vorstellung von Form und Ursache des Problems haben, an der sie um jeden Preis festhalten möchten. „Das ist ein Virus!“ liegt in den Charts ganz vorne, aber auch exotischere Thesen wie „Das ist erst so, seit ich diese Kontaktanzeige in dem Onlinemagazin aufgegeben hab!“ werden häufig mit religiöser Inbrunst vorgebracht. Solange diese falschen Konzepte das Vorstellungsvermögen des Patienten beherrschen, ist keine Heilung möglich.

Zu guter Letzt haben die meisten Menschen bereits die Erfahrung gemacht, dass Support nichts hilft oder den Kummer nur vergrößert. In drei von vier Fällen mündet schließlich alles Ferndiagnostizieren und Gutzureden in Sätzen wie „Also da kann ich jetzt auch nichts machen, du solltest dir einfach endlich mal einen neuen Rechner anschaffen“. Das kennt der Betroffene schon und hört unseren Beschwörungen bestenfalls mit halbem Ohr zu.

Wenn man also keinen perversen Lustgewinn daraus zieht, Sätze wie „Copy and Paste? Das hab ich hier bestimmt nicht!“ zu hören, empfiehlt es sich, First-Level-Support zu meiden, Inkompetenz zu simulieren sowie grimmige und abstoßende Manieren zu pflegen, damit die Betroffenen es freiwillig vorziehen, nettere Freunde zu behelligen. Verachten darf man die Opfer allerdings, so schwer es fällt, nicht. Denn das bringt schlechtes Karma und führt dazu, dass man sich demnächst selbst coram publico zum Horst macht, weil man irgendeine Installationsanleitung verkehrt herum gehalten hat. Oder aber es fällt einem beim In-der-Nase-Bohren der Arm ab.

KATHRIN PASSIG

kathrin@kulturindustrie.com