Teurer Bluff in der amerikanischen Buchhaltung

Amerikanisches Buchhaltungsrecht in der Kritik. Auch deutsche Firmen betroffen. Bilanzen bleiben Schätzungen. Euroverordnung kommt 2005

HAMBURG taz ■ Immer mehr deutsche Unternehmen erstellen ihre Bilanzen nach amerikanischem Recht. Solche Bilanzen sind jedoch riskant, sie könnten die Stabilität der Konzerne gefährden. So zwingt die neueste Änderung des US-Bilanzrechts Gaap (sprich neudeutsch „gäp“, oder Generally Accepted Accounting Principles) den Medienriesen AOL Time Warner dazu, in diesem Vierteljahr 40 bis 60 Milliarden Dollar abzuschreiben. Diese Rekordsumme ergibt sich laut Financial Times aus den Kursverlusten seit Bekanntgabe der Fusion der beiden Konzerne.

Ob auf deutsche Firmen ähnlich drastische Korrekturen zukommen, ist unklar. Nach US-Gaap bilanzieren etwa 250 hiesige Firmen, zum Beispiel alle an der New Yorker Wall Street gelisteten Aktienwerte, darunter DaimlerChrysler, Deutsche Bank oder Hannoversche Rückversicherung. Am Frankfurter Neuen Markt ist die Bilanzierung à la USA sogar Standard.

Seit diesem Jahr müssen solche Firmen den so genannten Goodwill (Firmenwert) nun jährlich überprüfen. Bislang durfte dieser über 40 Jahre gestreckt und abgeschrieben werden. Hat sich der Goodwill rasant verschlechtert, verschlechtern sich nun auch prompt Quartalsberichte und Gewinnrechnungen. Viele US-Firmen werden Rezession und den 11. September als Vorwand nutzen, um die in den vergangenen Jahren künstlich aufgeblähten Geschäftszahlen wieder der Realität anzunähern.

Das Spielchen wird jedoch bald andersherum laufen. Nach Schätzungen von Analysten sollen die Gewinne um durchschnittlich 10 Prozent künstlich nach oben klettern. „Die Wall Street würde sich damit – einmal mehr – reicher rechnen, als sie ist“, bemerkt dazu ein Wirtschaftsblatt. Wie ungenau und beliebig insbesondere die Quartalsbilanzen schon jetzt sind, bewies der weltgrößte Energiehändler Enron: Trotz toller Zahlen musste er im Dezember Konkurs anmelden.

Im Gegensatz zum braven deutschen Handelsgesetzbuch, das vor allem die Gläubiger und Banken einer Firma schützen will und daher laut Norbert Winkeljohann, Steuerexperte an der Uni Osnabrück, auch nur „Halbwahrheiten“ veröffentlicht, interessiert sich Amerika fast ausschließlich für Aktionäre und Analysten. Den flatterhaften Investoren wollen die Unternehmen möglichst propere Zahlen für ihre Anlageentscheidungen liefern. Insofern spiegelt sich in der Bilanzart auch der Streit um Globalisierung und Shareholder Value wider.

Die bundesdeutschen Buchhalter erwartet eine Revolution, denn eine Verordnung der Europäischen Kommission steht vor dem Abschluss. Wahrscheinlich bereits ab 2005 müssen hiesige Aktiengesellschaften ihre Einnahmen nach den International Accounting Standards (IAS) verbuchen. Auch diese IAS-Bilanzen werden stärker die Interessen der Aktionäre und Analysten berücksichtigen und sind darum riskanter als das sicherheitsorientierte deutsche Bilanzrecht. Allerdings ist IAS längst nicht so kurzfristig und so radikal auf hopp oder top ausgerichtet wie das amerikanische System.

HERMANNUS PFEIFFER