Amüsanter Trash-Abend mit Fleisch

Auch zum Anfassen: Annie Sprinkles „Herstory of Porn“ auf Kampnagel  ■ Von Annette Stiekele

Am Anfang steht das große Warten. Eine halbe Stunde lässt sie ihre Anhänger in der K1 auf Kampnagel ausharren. Keiner murrt, denn schließlich gibt es vor der Tür frisches Popcorn. „So lange kann man doch keine Erektion halten“, scherzt ein Gast. Doch dann erscheint sie, Annie Sprinkle als „promovierte Sexualwissenschaftlerin“ im drallen Serviererinnen-kostüm, schürzt lasziv die Lippen und öffnet ihr intimes Sextagebuch. Demnach hat sie mit acht Jahren ihren ersten Porno gesehen. Dann dauerte es noch einige Jahre, bis sie den Sprung von der Masseuse zur Pornodarstellerin schaffte und fortan in billig produzierten Rammelvideos anheuerte.

Mit ihrer Performance Herstory of Porn – From Reel to Real eröffnete die lebende kalifornische Legende das Festival „Zeig mir Dein Fleisch! Body-Art zwischen Pornografie und neuen Technologien“. In Zeiten der Entmystifizierung des Körpers, des Allgemeingut gewordenen Voyeurismus wird nun auch das Fleisch zum Gegenstand einer ästhetischen Auseinandersetzung. Wobei sich an diesem Abend so manches Mal die Frage einschlich, ist das überhaupt Kunst?

Annie Sprinkle zumindest ist ein Gesamtkunstwerk. Das hat dieser Abend eindrucksvoll bewiesen. Ansonsten sollte man das mit der Künstlerin nicht ganz so hoch hängen. Denn wie sie da herumspaziert, sich in immer neue knappe glitzernde Fummel zwängt und ihre Perücken wechselt, passt sie doch eher ins Schmidt-Theater, wo sie schon vor Jahren ihre „Alle-dürfen-einmal-meine-Gebärmutter-sehen-Show“ abgehalten hat. Die Pornoqueen als kurioses Ereignistheater. An diesem Abend kommentiert sie ihre Geschichte des Pornofilms zu bewegten Leinwandbildern. Mitunter ist das eine amüsante Zeitreise, angefangen bei den 60er Jahren. Da dröhnt die Ham-mondorgelmusik im Hintergrund, und ein paar Körper wälzen sich dazu mal mehr, mal weniger appetitlich auf bunten Bettdecken. Das krampfige Bemühen um Handlung war schon diesen von Männern dominierten Filmen anzumerken. Egal, ob es um „wifewapping“ oder einen „interracial detective thriller“ geht, im Grunde geht es immer nur um das Eine. Mit den Jahren nehmen die Varianten zu. Neben Lesbensex und Gewaltsex in Lack und Leder erfahren wir, dass Frau Sprinkle beim Sex auch gepisst und gekotzt hat. Man nimmt ihr ab, dass sie ihren Hang zum Exhibitionismus über Jahrzehnte hinweg mit Freuden ausgelebt hat, doch nunmehr sehen wir eine Frau um die 50, die etwas bemüht einzelne Slow-Motion-Effekte hervorhebt und ihr „Cum-shot-Meddley“ anpreist. Beherzt zwängt sie dabei ihren Körper durch die Reihen, massiert einzelne Zuschauer mit dem Massagestab und erlaubt ihnen, sie anzufassen.

Bis zur Pause ist das alles vollkommen frei von jeder politischen oder gar feministischen Haltung. Nach der Pause regt sich zarte Kritik in ihr, sie wollte auf einmal Filme machen, die das Ganze aus Frauensicht darstellen. Aber ob nun Deep Inside Annie Sprinkle oder ihre New-Age-Videos aus den 80er Jahren, in denen sie sich in einem Naturorgasmus mit einem Baum vereint, oder ihre Aufklärungsfilme mit Safer Lesbian Sex, die Dimension bleibt gleich.

Wir nähern uns der Gegenwart, und Annie Sprinkle verrät, dass sie seit sechs Jahren Lesbe ist. Und plötzlich werden die Videos politischer und künstlerischer, denn die amerikanische Zensur musste mit List umschifft werden. Unbestritten ist wohl, dass Annie Sprinkle in den 80er Jahren zu einer Vorreiterin der Frauenbewegung wurde, die mit Selbstproduziertem und mit Lernvideos gegen die Männerwelt in der Pornoindustrie anfilmte. Sicherlich hat sie damit für das Selbstverständnis der Frauen einiges erreicht. Dennoch, der Kommentar zu ihren eigenen Filmen reicht nicht aus, um aus dem Ganzen eine dis-tanzierte Performance zu machen. Zu sehr verharrt die Veranstaltung auf dem Niveau eines – allerdings – amüsanten Trash-Abends.

noch heute und morgen, 20 Uhr, Kampnagel (k1)