Herrliche Suchbilder mit Dame

■ Henschel und Wieland und Rönneburg im Toten Salon: Geboten wird gepflegter Zynismus, natürlich hochmoralisch

Gerhard Henschel hat eines seiner grob geschätzt 5.000 Werke Lesen ist Essen auf Rädern im Kopf genannt. Dann ist der Tote Salon mindestens Diskutieren auf Rädern, schließlich touren Gerhard Henschel und Rayk Wieland mit ihrem verbalen Selbstflagellantentum zwischen Lüneburg und Bremen hin und her. Ihre eigentliche Heimat ist natürlich Hamburg, und hier wird heute Abend im Nachtasyl des Thalia-Theaters wieder die Welt von den Füßen auf den Kopf gestellt. Mit Carola Rönneburg als Gast bleibt alles in der Familie.

Ausgerechnet in der taz sind Henschel und Wieland mal mit Kienzle und Hauser verglichen worden – Vergleiche, die sich schon aufgrund der Statur jedweder Art verbieten. „Noch Fragen, Wieland?“ „Nein, Henschel“ ist in dieser Form als Dialog von den beiden Salongastgebern nicht zu erwarten. Vielmehr wird hier der bekennende Zynismus kultiviert, schließlich ist Rayk Wieland ein konkret-Gewächs. Gerhard Henschel liegt dagegen selbstverständlich jeglicher Zynismus fern, das hat er mit seinem hochmoralischen Traktat über die ostdeutschen Bürgerrechtler Der Barbier von Bebra in Kooperation mit Sportskamerad Droste hinlänglich belegt. Aber da er hier mit Wieland zusammen agiert, muss er sich wohl oder übel auch auf diese Ebene begeben, und bisher ist das auch immer gelungen.

Der Tote Salon wird heute zum 22. Male gegeben, hat also nicht nur Hauserkienzle, sondern auch das Literarische Quartett mittlerweile ausgesessen. Der Salon hat gar Walter Kempowski als Gast überstanden, dagegen nimmt sich eine Carola Rönneburg nachgerade harmlos aus. Man kennt sich, grüßt sich, hat oft genug gemeinsam auf der Seite der Wahrheit bei der taz gestanden. Rönneburg gehört zum Club, sie ist Mitglied im Stamme des Häuptlings Eigener Herd, um den sich Droste, Klink, Henscheid, Henschel, Wieland und Konsorten versammeln. Um noch ein bisschen weiter Nabelschau zu betreiben: Sie ist auch Mit-Autorin des verdienstvollen taz-Afghanistan-Kriegstagebuches, bei dem dem gemeinen Realo-Leser die Morgen-Brezel im Halse stecken bleibt und er somit letztmalig ungeteilte Solidarität mit dem US-Präsidenten beweist.

Wem das alles zu taz-intern ist, dem sei der Hinweis dargereicht, dass Frau Rönneburg auch den schönen Lyrikband Oben lag der Appenin, unten legte ich mich hin herausgegeben hat, der unter anderem die aufmerkenden Gedichtzeilen enthält: „Steh nicht länger dumm herum, Köpf die Ärsche, pfähl die Pisser, säbel ihre Knechte um.“ Peter Ahrens

heute, 20 Uhr, Thalia-Nachtasyl