Leben ohne Kinder

Die Medizin macht manches müde Spermium munter. Aber oft bleibt trotzdem nur ein neuer Lebensentwurf  ■ Von Sandra Wilsdorf

Ihr Leben dreht sich um den „KIWU“ und ist ein ständiges Hoffen und Bangen zwischen Besuchen in den Praxen der Kinderwunsch-Spezialisten: Wenn Paare Eltern werden wollen, aber Spermium und Ei nicht zueinander finden, wird manchmal jede Mutter zur Provokation, die Werbung für Windeln ein Anlass zum Heulen.

Wieviele Paare ungewollt kinderlos bleiben, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Jedes siebte Paar, heißt es manchmal, oder jedes fünfte; 20.000 Paare allein in Hamburg, schätzt das Hamburger Informationszentrum für Kinderwunschbehandlung, ein von Betroffenen und Reproduktionsmedizinern gegründeter Verein. „Doch wie wird das berechnet? Viele kinderlose Paare haben das ja bewusst so gewählt“, sagt Silke Koppermann. Die Gynäkologin berät Menschen mit Kinderwunsch im Hamburger Familienplanungszentrum (FPZ), einer Einrichtung von Pro Familia und Arbeiterwohlfahrt.

Unfruchtbarkeit nimmt zu. Das liegt zum einen an den Frauen, die die fruchtbaren Jahre zwischen 20 und 30 oft anders verplant haben. Und ebenso häufig an den Männern, denn deren Spermienqualität sinkt. Eine Studie der Universität Oldenburg hat herausgefunden, dass die Spermienkonzentration der Hamburger Männer zum Beispiel seit 1956 um 70 Prozent zurückgegangen ist. Das liegt vermutlich an Ernährung, Stress und Umwelt: Chemiekalien in Plastikflaschen und Blechdosen oder auch Pestizide beeinflussen die Hormone und damit die Fruchtbarkeit. Auch der weibliche Hormonhaushalt ist ein fragiles Gebäude, das leicht aus den Fugen gerät. Beispielsweise, wenn zu viele Stress-hormone ausschüttet werden – weshalb die ausbleibende Schwangerschaft auch an Stress oder Unzufriedenheit liegen kann.

Ganz generell ist Schwangerschaft aber auch eine Frage der Geduld, „die Weltgesundheitsorganisation spricht von Sterilität, wenn nach zwei Jahren regelmäßigen Verkehrs nichts passiert ist“, sagt Silke Koppermann. Sie rät zu Gelassenheit, denn viele Frauen kränkt die Kinderlosigkeit, sie entwickeln ein Gefühl von „mein Körper kann das nicht“.

Die Chance auf eine natürliche Schwangerschaft aber nimmt sich, wer zu früh auf die Reproduktionsmedizin setzt. Denn hat der Arzt ausgeschlossen, dass die ausbleibende Schwangerschaft hormonelle Ursachen hat, werde oft nicht mehr lange gesucht, „die Hemmschwelle der Retortenbefruchtung hat extrem abgenommen“, so Koppermann. Dabei liege die Chance, dass das Paar auf diesem Wege ein Baby bekommt, nur bei etwa 15 Prozent, „eine Rate, die man in anderen Bereichen der Medizin als gering bezeichnen würde“. Genauso hoch liege die Erfolgsquote bei Frauen, deren verklebte Eileiter operiert würden. „Aber das“, sagt die Ärztin, „gilt heutzutage als alter Zopf.“

Bei Männern wird heute oft die „ICSI“-Methode“ angewendet: Dabei werden dem Hoden Frühformen von Spermien entnommen und in eine Eizelle gepritzt, weil sie den Weg allein nicht schaffen. Das Verfahren ermöglicht auch Männern die biologische Vaterschaft, die noch vor zehn Jahren als hoffnungslos galten. „Allerdings gibt es auch noch keine Langzeitstudien“, warnt Koppermann.

Sie vergleicht den unbedingten Willen, schwanger zu werden, ein bisschen mit Spielsucht: „Je mehr man eingesetzt hat, desto unbedingter will man gewinnen.“ Doch manchmal ist auch die Behandlung ein Erfolg, an deren Ende sich zwei Menschen ihr Leben auch ohne Kind vorstellen können.

Im FPZ – www.familienplanungszentrum.de oder Tel.: 040/439 28 22 – gibt es auch Adressen der Hamburger Kinderwunsch-Praxen. Das Informationszentrum für Kinderwunschbehandlung ist unter Tel.:040/52 87 85 87 oder www.kinderwunsch-hh.de zu erreichen.