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Jörg Buntenbachs „Tango Metropole Berlin“
: Gefälliger Plauderton

Zwei Welten gibt es im Tango, schreibt Gustavo Naveira: die Welt der Bühne und die Welt der Milonga, des „Dancefloors“. Unterschiedlich sind deren Formensprachen: In der Milonga herrsche die Improvisation, auf der Bühne hingegen die „ausgedachte, künstlerisch komponierte und festgelegte Choreografie“. Experten wie der Argentinier Naveira, der in aller Welt Tango unterrichtet, kommen in Jörg Buntenbachs Buch „Tango Metropole Berlin“ zu Wort. Wie der Titel vermuten lässt, geht es in dem mit zahlreichen Schwarzweißfotografien von Jörg Hesse angereicherten Band um die Verquickung von Stadt und Tanz. Der Autor stellt sich bei der Behandlung seines Gegenstands ganz in den Dienst der gefälligen Vermittlung. Man erfährt, was Tango für Berlin und Berliner bedeutet, wer ihn wo warum tanzt. Im Plauderton erzählt der Tangoliebhaber, dass es in Berlin die meisten Tangoschulen, Tangosalons und Tangofans in Europa gibt.

Wer Berlin als Milongaparkett bisher nicht wahrgenommen hat, der war blind, könnte man beim Durchblättern meinen. Denn wenn es eine Tangostadt gibt, dann ist es wohl Berlin.

Der Ehrgeiz der Berliner Tanzwilligen, der „Tangueros und Tangueras“, an jedem Tag der Woche irgendwo öffentlich Tango zu tanzen, konnte sich im Laufe der Neunzigerjahre, so liest man, erfüllen. Zweiundzwanzig Tangolokale listet Buntenbach auf. Er porträtiert Tangoschulen, Salons und Künstler, notiert Episoden und hat auch keine Angst vor Klischees. „Der Tango und Berlin sind sozusagen ein Paar“, so Buntenbach, „Ein Paar, das sich liebt, sich bekämpft, sich umarmt und das sich verflucht – aber das sich niemals untreu wird.“

Das breit angelegte und – im Sinne einer kritikfreien Doku-Erzählung – sorgfältig recherchierte Buch bietet, nun ja, angenehme Unterhaltung. In die Tiefe geht die Auseinandersetzung des Autors mit dem Berlin-Tango nicht. An der aparten Oberfläche des Phänomens plätschert der Text dahin und bildet die Tangoszene dieser Stadt ab. Buntenbach, selbst Tangotänzer, erzählt die Geschichte des „Berliner“ Tangos, wobei er Anekdoten an Fakten fügt, ohne sich um argumentative Linien zu bemühen. Man erfährt, dass der „laszive, verruchte“ Tango 1913 von Buenos Aires über Paris nach Berlin gekommen war, gut ankam, und von Kaiser Wilhelm II. prompt verboten wurde, zumindest für die preußischen Offiziere. Analysiert werden diese Zusammenhänge nicht, die Darstellung bleibt auf Reiseführerniveau.

Man liest, dass der Tango in den Zwanzigerjahren zum Berliner Ballsaalkracher mutierte. Aus dem melancholischen Tango wurde ein lustiges Tanzlied mit deutschem Text und Orchestereinspielung, und es kam derart en vogue, dass auch Friedrich Hollaender es in seinen Kabarettrevuen verwurstete.

Auf den Fotos sieht man Gustavo Naveira, Pepito Avellaneda und Rodolfo Dinzel, die argentinischen Tangolehrer, die in Berlin unterrichten. Buntenbach nennt sie „Botschafter aus dem Mutterland“. Und natürlich fotografierte Jörg Hesse hübsche oder hübsch gemachte Frauen in eleganten schwarzen Kleidern, die, Zigarette rauchend, vieldeutig dreinschauen, auf den ersten Tango warten oder sich von ihrem Tanzpartner aufs Parkett legen lassen. Die theatralische Mimik der Tanzpaare jedoch wirkt auf den Fotos starr und clownesk.

Buntenbach mangelt es nicht an Stoff, sein Buch enthält reichlich Anekdoten, Interviews und Insiderwissen. Was fehlt, ist eine erkennbare Struktur, die seiner Geschichte eine Bedeutung außerhalb der Szene geben könnte. Die Tangofans können sich an dem leicht und schnell lesbaren Band freuen. Andere finden vielleicht Gefallen an dem affirmativen Ton und der Nähe des Autors zu seinem Gegenstand. „Tango Metropole Berlin“ ist eben eine Liebeserklärung, immerhin.

JANA SITTNICK

Jörg Buntenbach, Jörg Hesse: „Tango Metropole Berlin“. Kastell Verlag, München, 29,80 €