Rot-Rot: Eine einzige Quälerei

Wahlen gewinnen alleine reicht nicht: SPD und PDS hadern in Berlin mit der veröffentlichten Meinung, mit der miesen Stimmung und vor allem mit sich selbst. Der eben noch gefeierte Klaus Wowereit hat plötzlich ein Imageproblem

von ROBIN ALEXANDER

So werden wohl nur in Berlin Senatoren begrüßt: „Sie sind der Neue?“, wird Thilo Sarrazin, frisch vereidigter Finanzsenator, auf den Fluren des Abgeordnetenhauses von Adrienne Goehler forsch gefragt. Und die populäre, aber scheidende Kultursenatorin schiebt noch nach: „Einen Scheißjob haben Sie sich da ausgesucht!“

Dieser Hinweis wäre vielleicht gar nicht notwendig gewesen, hatte der 56-jährige ehemalige Treuhand-Manager Sarrazin doch an diesem denkwürdigen Donnerstag schon einen Eindruck von den Verhältnissen in der Berliner Landespolitik bekommen. Erst verweigerten acht Abgeordnete der rot-roten Koaliton ihrem neuen Sparkomissar die Stimme. Dann musste der ganze Wahlgang wiederholt werden, weil ein CDU-Abgeordneter dem PDS-Fraktionsvorsitzenden unterstellte, er habe zwei Stimmzettel in die Wahlurne geworfen.

Einer, der sich mit Berliner Verhältnissen bestens auskennt, fiel im ersten Wahlgang gar durch. Ausgerechnet Peter Strieder, SPD-Landeschef, „Supersenator“ mit vielen Zuständigkeiten und der eigentliche Architekt der rot-roten Koalition, wurde erst im zweiten Versuch gewählt, nachdem der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit in einer Sitzungspause deutliche Worte an die eigene Fraktion gefunden hatte „Fassungslos“ sei er. Dazu hat er auch allen Grund: Schon vor der Vereidigung des ersten rot-roten Senats in der Geschichte Berlins hat vor allem die SPD das umstrittene Bündnis stark gefährdet. Die Fraktion steht nicht wirklich zu Rot-Rot. Mäßiges Ergebnis bei Wowereits Wahl im Parlament. Strieder stark beschädigt. Und auch Gregor Gysi von der PDS verweigerten fünf Sozialdemokraten die Stimme. Hinterher wagte jedoch niemand ein öffentliches Bekenntnis zur Dissidenz. Treffend fasste ein Abgeordneter auf der Fraktionssitzung zusammen: „Der größte Feind der SPD in Berlin ist die SPD in Berlin.“

Dabei gab es in den vergangenen Wochen genug Gegenwind für die Hauptstadt-Sozialdemokratie, die zwölf Jahre nach dem Fall der Mauer gemeinsam mit der PDS regieren will. Spät, aber heftig reagiert das bürgerliche Berlin auf das Linksbündnis. Seit die Verhandlungen über eine Ampelkoalition gescheitert sind, feuert die in Berlin besonders aggressive Springer-Presse gegen Wowereit und Genossen. Aber auch liberale, eigentlich ausgewogene Blätter finden in der neuen Koalition ein Feindbild. „Warum regt sich keiner auf?“, fragt der Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni die Lorenzo seine Leser in einem Leitartikel. In Beiträgen wird Gysi als Stasi-Zuträger dargestellt, die vielschichtige Berliner PDS als Partei, in der man nur alte DDR-Kader finde. Der Ekel vor der SED-Nachfolgepartei wird dabei überlagert und ergänzt durch die Westberliner Angst „vom Osten“ regiert zu werden. Diese Furcht erhält Nahrung durch den Beschluss von Rot-Rot, zum Zwecke des Sparens eine Universitätsklinik im Westteil der Stadt in ein gewöhnliches Krankenhaus umzuwandeln.

Die SPD treffen die Anwürfe in einer schwierigen Phase. Wowereit, der sich auf Partys ein frisches Image zulegen wollte, hat überzogen: Jetzt wird er als „Bruder Leichtfuß“ und „König Lustig“ verhöhnt. Peter Strieder, der Parteichef, sieht sich Anwürfen ausgesetzt, ein Immoblien-Investment bei der Berliner Landesbank sei zumindest moralisch zweifelhaft. Vor allem aber wird Wowereit und Strieder übel genommen, kein ausgewogenes Personal gefunden zu haben. Sechs Sozialdemokraten inklusive Wowereit regieren nun Berlin, nur eine Frau und niemand aus der ehemaligen DDR ist dabei.

Positives Aufsehen erregte nur eine Personalie: Gregor Gysi, der neue Berliner Wirtschaftssenator, konnten einen ausgewiesenen Marktwirtschaftler als Staatssekretär gewinnen. Volkmar Strauch, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer mit SPD-Parteibuch, taugt kaum zum Bürgerschreck.