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Gehen im Rhythmus der Stadt

Manhattan, unzählige Beine, Urban Jazz, das Glück und Fußfetischismus: Der Hamburger Regisseur Thomas Struck stellt heute im Abaton seinen Film „Walk Don't Walk“ vor  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Wer einmal in New York gewesen ist, weiß, dass Füße und Beine Gold wert sind. In kaum einer Stadt, schon gar nicht einer US-amerikanischen, wird so viel zu Fuß gegangen. Die Enge Manhattans macht Autofahren – vom Parken ganz zu schweigen – zur Tortur, Fahrradfahren zum Selbstmordkommando, selbst auf Krücken kommt man schneller voran als ein Bus. Und die Entfernungen zwischen zwei Stationen der legendären Subway dieser Stadt sind entweder so kurz, dass die Bahn nicht lohnt, oder es müssen, trotzdem man sie nimmt, noch große Stre-cken als Fußgänger zurückgelegt werden. Zu sehen gibt es ohnehin genug.

Thomas Struck hat noch viel mehr gesehen, denn er hat Manhattan aus der Rattenperspektive aufgenommen. Eine kürzere Fassung seiner Hommage an die Stadt und ihre Beine, Walk Don't Walk, die nun in einer 60-minütigen Version in die Kinos kommt, wurde seiner ungewöhnlichen Perspektive wegen 2001 in Oberhausen ausgezeichnet. Mit einer konventionellen Filmausrüstung wäre dieser Film nicht möglich gewesen. Selten hat die Verwendung einer digitalen Kamera mehr Sinn gemacht: für den besonderen Blick hat Struck sie an das untere Ende eines Stocks montiert und sich auf den Weg gemacht. Über den Aufklappmonitor wurde der Bildausschnitt kontrolliert und die Kamera per Fernbedienung ausgelöst.

Dreimal hat die Polizei den Filmemacher beim Sammeln seiner 60 Stunden „footage“ als Spanner festgenommen. Doch viele der Beobachteten haben nicht einmal bemerkt, dass sie gefilmt wurden. Mit unzähligen Passanten kam Struck ins Gespräch. Er hat sie befragt zu dem Verhältnis, das sie zu ihren Füßen haben, und zu ihrem Verständnis von Glück.

Die meisten haben nur zu bereitwillig Auskunft gegeben. Wer einmal in New York gewesen ist, weiß, wie gerne seine Bewohner über sich reden. Selten hat daher die Auswahl einer bestimmten Stadt für einen Film so viel Sinn gemacht. Anders als alles andere in Manhatten ist zudem das Gehen nicht an den sozialen Status, an Klasse, Geschlecht oder Hautfarbe gebunden. Weil alle Nujoricans „es“ machen, lassen sich in Walk Don't Walk die unterschiedlichsten und skurrilsten Antworten finden.

Struck stieß bei seinen Recherchen auch auf so genannte Fußfetischisten. Das nahe liegende Thema lässt er von der Chefredakteurin des Fetisch-Magazins Leg Show, Dian Hanson, mit kenntnisreichen Worten ausmalen. Und indem Struck über die gesamte Dauer des Films seine Zuschauer an einem Blick teilhaben lässt, der Füße und Beine ins Zentrum stellt, löst er ganz nebenbei eine Grenze auf: diejenige, mit der sich Leute durch die Verwendung des Wortes „Fetischismus“ von denjenigen abzusetzen hoffen, die eine Vorliebe für die unteren Extremitäten haben.

Dem Rhythmus der gehenden Beine hat Struck – außer durch ein dynamisches Schnitttempo – auch auf der Tonspur seinen Platz gegeben. Der Urban Jazz des bekannten Klarinettisten Don Byron korres-pondiert hervorragend mit dem Takt der Bilder. Seine einführende Inszenierung als Straßenmusikant allerdings überspringt arg leichtfüßig Berühmtheits- und Verdienstmargen.

Dieser Film muss sich nicht scheren um einen besonders von der Filmbranche verlangten taktvollen Umgang mit der Stadt, in die am 11. September „eine Wunde“ geschlagen wurde: Struck interessiert die Skyline Manhattans so wenig wie die Vogelperspektive. Einzig der in Walk Don't Walk häufig anzutreffende Stöckelschuh ist, wie ein Kollege schrieb, seit dem Herbst letzten Jahres im Stadtbild New Yorks kaum noch unterwegs: zu unpraktisch zum Wegrennen.

Premiere (in Anwesenheit des Regisseurs): heute, 20 Uhr, Abaton; der Film startet am 24.1.

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