: Henning „El Sharif“ auf Tauchstation
■ 200 Menschen wollten den „Scheinriesen“ Henning Scherf am Sonntag früh nach Nicaragua abschieben – Protest gegen die Behandlung der 500 in Bremen lebenden kurdischen Libanesen
Sonntag Morgen, kurz vor sieben. „Wir fordern sie auf, sich in 15 Minuten ausreisefertig vor ihrer Unterkunft einzufinden“, schallt es aus großen Lautsprechern zum Haus des Bremer Bürgermeisters Henning Scherf in der Rembertiviertel. Hühnergackern vom Band und Trillerpfeifen schrillen durch die Nacht. Gut 200 Menschen wollen Henning „El Sharif“ alias Scherf zum Flughafen begleiten. „Die zuständige Sachbearbeiterin wird auf dem gemeinsamen Weg zum Bremer Airport für einen reibungslosen Ablauf sorgen“, verspricht die Rednerin im grünen Plastiksack mit Blaulicht auf dem Kopf. Doch Scherf kümmert das nicht – er kommt an diesem Morgen nicht vor die Haustür und entzieht sich damit seiner „Abschiebung“.
Das Aktionsbündnis Flughafenblockade protestierte mit der Sponti-Aktion im Morgengrauen gegen die von Scherf kommentarlos geduldete Abschiebung der 500 in Bremen lebenden kurdischen Libanesen in die Türkei. Der Bürgermeister verschließe die Augen vor dem Schicksal der kurdischen Flüchtlinge. „Da hatten wir keine Wahl“, rechtfertigt ein Sprecher des Aktionsbündnisses das schlafraubende Vorgehen.
Mehrfach seien Scherf und seine bei Amnesty International engagierte Frau Luise in den letzten Monaten um deutliche Stellungnahme gebeten worden. Bei einem seiner Moschee-Besuche vor Weihnachten habe er Betroffenen persönlich zugesagt, sich des Problems anzunehmen. Geschehen sei nichts. Stattdessen drücke sich Scherf um seine Verantwortung und lasse dem CDU-Innensenator freie Hand bei der Behandlung der Libanesen. „Für Kuno Böse ist die reibungslose Abschiebung der Flüchtlinge im Moment zu einer Frage der Ehre geworden“, regt sich ein Abschiebegegner auf. Und fügt hinzu: „So kann man keine Politik machen.“
Ordnungsgemäß hatten die Demonstranten einen Abschiebebescheid parat: „El Sharif“, wie der eigentlicher Name des Delinquenten laute, stamme aus Nicaragua, wo er einst Kaffee gepflückt habe: Sein Herkunftsort Huckelriede könne „lediglich als Transitland gewertet werden.“ Mit „häufig beobachtetem öffentlichen Knuddeln“ habe „El Sharif“ zudem „mangelnde Integrationsbereitschaft“ gezeigt.
Weiter bestehe „Verdacht auf Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung Bremer Senat in Tateinheit mit der Erschleichung von Diäten und sonstigen Sozialleistungen.“ Die amtsärztliche Untersuchung habe zudem ergeben, dass Scherf „lediglich ein Scheinriese“ sei. Sogar vor den privaten Verhältnissen des „ehemaligen“ Bürgermeisters machten die Nachforschungen der „Ausländerbehörde“ keinen Halt.
Die Verbindung mit der „bekennenden Menschenrechtsaktivistin“ Luise Scherf etwa könne „nur als Scheinehe gewertet“ werden. „Wir hoffen, sie haben Ihren Aufenthalt in Bremen genossen und wünschen Ihnen alles Gute für ihr weiteres Leben in Nicaragua“, schloß die „Abschiebungsbeauftragte“ und schwenkte die Handschellen. Applaus.
Doch im Scherfschen Haus blieb alles dunkel. Nicht einmal am Fenster zeigte sich der Gesuchte. „Der hat sich seiner Abschiebung entzogen und ist geflohen“, vermutete ein „abschiebewilliger“ Demonstrant. Senats-Sprecher Klaus Schloesser widerspricht: „Natürlich war der zu Hause.“ In der Sache der kurdischen Libanesen allerdings gebe es „nichts zu reden.“ Schloesser: „Warum sollte Scherf in aller Herrgottsfrühe aus dem Haus kommen?“ Die FlüchtlingshelferInnen sind da anderer Meinung. „Natürlich hat die Innenbehörde Ermessensspielraum“, sagt ein Sprecher des Aktionsbündnisses.
„Ich habe nicht damit gerechnet, dass er erscheint“, sagt eine Demonstrantin. Schließlich gehe „El Sharif“ bei der Frage der Abschiebung der Flüchtlinge immer „auf Tauchstation“. Eine halbe Stunde und nach dreifachem Verlesen des „Abschiebebescheides“ ziehen die Demonstranten weiter. „Die Abschiebung ist gescheitert – vorerst“, droht einer.
Verwunderung hat die Demo dennoch gestiftet. Eine ältere Frau fragt: „Ist der denn auch Libanese?“ Armin Simon
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