Ein Abend wie eine WahWah!-Sendung

„Good Bye Viva Zwei“ am Freitagabend in der Volksbühne: Der Viva-Mann verkauft den Abschied als Neuanfang, norwegische Hippies singen Hits von jenseits des Polarkreises. Jede Menge wesentlicher Fragen blieben aber offen

Stefan Kauertz kam ganz schön ins Schwitzen. Das lag nicht am grellen Scheinwerferlicht, dem sich der rundliche Programmchef von Viva am Freitagabend im Sternfoyer der Volksbühne ausgesetzt sah, sondern an der Rolle des Buhmanns, die er auf dem provisorisch aufgebauten Podium übernehmen musste. „Status quo und Zukunft des Musikfernsehens in Deutschland“ lautete das Thema der Diskussionsrunde – und Kauertz gehörte nach Meinung der Anwesenden zu den Verantwortlichen dafür, dass diese Zukunft nach dem Ende von Viva Zwei ziemlich düster aussieht.

Dass der Viva-Mann überhaupt auf dem Podium saß, zeigt, wie wenig souverän die Viva Media AG mit der Anteilnahme und der Kritik an der Abschaltung des Kanals für alle musikalischen Spielarten abseits des Mainstreams umgeht. Ursprünglich wollte man in Köln die vom umtriebigen „Kitty Yo“-Label und der Volksbühne veranstaltete Abschiedshommage an Viva Zwei einfach ignorieren und riet den Viva-Mitarbeitern nicht hinzugehen. Irgendwie muss die unverhohlene Kritik der Feuilletons den Möchtegern-„Big Players“ dann doch auf den Magen geschlagen haben, am Freitag wurde dann kurzfristig umdisponiert.

Kauertz, gerade dem Flugzeug aus Köln entstiegen, tat jedenfalls das, was man von einem Geschäftsmann erwartet – seine Haut und sein Produkt bestmöglich zu verkaufen. Natürlich sei auch er, der an der Entwicklung des dahingeschiedenen Senders entscheidend beteiligt war, traurig, dass es Viva Zwei nicht mehr gebe. Aber Viva sei nun mal kein subventionierter Kulturbetrieb und könne sich einen Verlust bringenden Kanal auf Dauer nicht leisten. Und so schlecht sei der Nachfolger Viva Plus nun auch nicht, schließlich würde die Playlist „zu 80 Prozent mit der von Viva Zwei“ übereinstimmen.

Leider blieben auch die anderen Podiumsteilnehmer ihren Rollen treu – keiner schaffte es, Kauertz aus der Reserve zu locken. Die Vertreter der Indielabels finden die eingestellte Abspielstation zwar unersetzlich, aber, wie Konny von Löhneysen von „Ministry of Sound“ meinte, „gute Musik hat sich schon immer auch auf anderen Wegen verkauft“. Für die Einordnung in größere Zusammenhänge waren die Musikjournalisten da. Christoph Dreher, Autor der Dokumentationsreihe „Lost in Music“, sieht einen Rückschritt in der „Evolution“ des Musikfernsehen: „Wir sind mit Viva Plus wieder da, wo wir am Anfang von MTV schon einmal waren. Musik-TV funktioniert wieder nur als reine Werbeplattform.“

Ungeklärt blieb dabei auch, für wen der neue Sender sein soll. Vom „Glamour“, den die Viva-Plus-Korrepondenten laut Stefan Kauertz verbreiten sollen, sei nicht viel zu sehen, meinte Christof Ellinghaus von „City Slang“, „das ist doch eine sinnentleerte Blitz-Illu“.

Welch sinnbeladener Umstand dagegen, dass die Trauerfeier gerade in der Volksbühne stattfand, in der Berliner Bühne, die seit Jahren den Spagat probiert zwischen Hoch-, Pop- und Subkultur – ähnlich wie der geliebte Trauerfall Viva Zwei. Ein Ort, an dem immer noch ein wenig die Welten aufeinander prallen, wenn der jugendliche Mob das altehrwürdige Gebäude mit seinen Saalordnern und Rauchverboten stürmt.

Für die leicht melancholische Stimmung des Abends erwiesen sich der große Saal und die angrenzenden Salons jedoch bestens geeignet. So ließen sich die Videos, die über die Leinwand flackerten und die man wahrscheinlich auf Viva Plus nicht mehr zu Gesicht bekommt, bequem aus dem Theatersessel genießen.

Auch die Bands, die auf die Bühne traten, hörten sich besser im Sitzen. Wie zum Beispiel „St. Thomas“, sechs leicht unterkühlte Hippies aus Norwegen, deren Frontmann Thomas Hansen in charmant akzentbelastetem Englisch eine schwermütige Ballade als Nr. 6 der norwegischen Charts ankündigte. Musik, die wohl nur in der skandinavischen Polarnacht ihr volles Hitpotenzial entwickelt. Oder Maximilian Hecker, der beim Singen immer so aussieht, als würde er fürchterliche Schmerzen leiden. Auch Kim Frank von „Echt“ war da und gab dem toten Sender und den „Freunden der alternativen Musik“, wie er anbiedernd das Publikum begrüßte, ein Ständchen. Ein Abend, einmalig wie eine WahWah!-Sendung.

DANIEL FERSCH