Gottes Lehrer an gottlosen Schulen

In Ostberlin haben es Religionslehrer schwer, doch die evangelische Kirche will davon offenbar nichts wissen

Sie wollte eigentlich nur einen Situationsbericht schreiben. Doch Angelika Thol-Haukes Bilanz von zehn Jahren Religionsunterricht in Ostberlin wurde zu einem heiß umstrittenen Papier in der evangelischen Landeskirche.

Die Theologieprofessorin bildet an der Evangelischen Fachhochschule Religionslehrer aus und deckt, wie sie selbst schreibt, „Horrorszenarien“ auf: Lehrer würden vom Kollegium ausgegrenzt, von Eltern verachtet und von Schülern nicht ernst genommen. Die Maxime „Religion ist Opium fürs Volk“ werde an vielen Ost-Schulen noch gelebt und mache den Lehrkräften die Arbeit unvorstellbar schwer, dokumentiert Thol-Hauke in ihrer 80-seitigen Studie „Wie bei einem Kinderkreuzzug“.

Als sie den Bericht auf ihrer Internetseite veröffentlichte, sorgte das für helle Aufregung in der Verwaltung der evangelischen Landeskirche. Die Darstellung solch „einseitiger Ergebnisse“ würden nur zu einer Verschlechterung der Lehrsituation führen, hieß es.

Thol-Hauke befragte 20 Lehrerinnen und Lehrer, die seit August 1991 – als das Berliner Schulgesetz für ganz Berlin in Kraft trat – im Ostteil der Stadt Religionsunterricht geben. Die evangelische Kirche bildete dafür rund 30 Katecheten aus, die sich mit dem Fach „Religion“ an Schulen in Westdeutschland und Westberlin vertraut machten und dann an Ostberliner Schulen loslegten. „Oft mit viel Elan“, beschreibt Thol-Hauke.

Einige seien auch herzlich aufgenommen worden. Doch die meisten würden von Kollegen geschnitten, hätten ungünstige Stunden – eine frühmorgens und die nächste dann mittags – und seien sogar bloßgestellt und beleidigt worden. „Wer zu euch kommt, muss doch sein Wissen an der Garderobe abgeben“, wird ein stellvertretender Schulleiter zitiert, und eine Mutter soll auf einem Elternabend gesagt haben: „Mit Drogen und Religion soll mein Kind nichts zu tun haben.“ Viele Lehrer würden auch allein deshalb ausgegrenzt, weil sie aus dem Westen kommen.

Zu den Aussagen waren einige Lehrer nur anonym bereit, aus Sorge um ihren Arbeitsplatz oder weil sie eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen fürchteten. Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg erklärte die Veröffentlichung der Studie für ausgeschlossen. Das habe nichts mit Zensur zu tun, sagte der Berliner Bischof Wolfgang Huber dem „Inforadio“. Der Bericht sei einseitig.

Thol-Hauke selbst beschreibt die Reaktionen aus dem Konsistorium, der obersten Kirchenbehörde, als „scharf“. Dort betrachte man ihre Studie als „schädliche Attacke auf den Religionsunterricht“. Genau das Gegenteil will die Theologin aber bezwecken: „Der Bericht soll zur Diskussion ermutigen – zum Besten des Religionsunterrichts.“ Man müsse stärker auf die Unterschiede zwischen West und Ost eingehen, verlangt sie.

In ihrem Bericht schlägt sie auch vor, dass die Kirche ihre Lehrer stärker unterstützt und dass die Öffentlichkeit über den Inhalt des Religionsunterrichts informiert wird. Mit dem Ziel, dass der so „normal“ betrachtet t wird wie im Westen.

MARKUS MÜNCH