„Abscheu und Wut über alle Morde“

Nordirlands Gewerkschaftsdachverband mobilisiert mit Demonstrationen und Generalstreik gegen die Gewalt

DUBLIN taz ■ Mehr als 25.000 Menschen haben am Freitag an Demonstrationen in sieben nordirischen Städten teilgenommen, um gegen Gewalt und Terror zu protestieren. Der Gewerkschaftsdachverband, der die Demonstrationen organisierte, hatte zu einem halbtägigen Generalstreik aufgerufen, damit die Menschen zu den Kundgebungen kommen konnten. Der Aufruf wurde weitgehend befolgt.

Es waren die größten Demonstrationen in Nordirland seit fast zehn Jahren. Sie wurden von allen politischen Parteien, von den Kirchen und der Industrie unterstützt. In der Hauptstadt Belfast versammelten sich 20.000 Menschen vor dem Rathaus. Der stellvertretende Generalsekretär des Gewerkschaftsverbandes, Peter Bunting, sagte: „Heute zeigen wir unsere Abscheu und Wut über alle Morde in Nordirland in den vergangenen 32 Jahren.“

Auslöser für die Demonstrationen waren die Auseinandersetzungen um eine katholische Grundschule im Norden Belfasts, wo die Mädchen auf ihrem Schulweg durch protestantisches Gebiet täglich bedroht und angegriffen wurden. Nach einer vorübergehenden Lösung im Dezember brach der Streit Anfang des Monats wieder aus und griff auf andere Schulen über. Katholisches Lehrpersonal und Beamte im öffentlichen Dienst wurden von den „Red Hand Defenders“ zu legitimen Angriffszielen erklärt. Vor neun Tagen brachte die protestantische Terrororganisation den 20-jährigen katholischen Briefträger Daniel McColgan um.

Bunting forderte alle paramilitärischen Organisationen auf, sich umgehend aufzulösen. Die „Red Hand Defenders“ haben das angeblich vorige Woche bereits getan, weil der Mord an McColgan so einmütig von beiden Bevölkerungsteilen verurteilt wurde. Der Haken ist allerdings, dass die „Red Hand Defenders“ nie existiert haben. Es ist ein Tarnname, den vor allem der Ulster Defence Association (UDA) benutzte, weil die sich offiziell im Waffenstillstand befand. Teile der UDA gehören auch einem paramilitärischen „Think-Tank“ an, der „Loyalistischen Kommission“, die sich seit neun Monaten im Geheimen trifft, um Alternativen zur Gewalt zu entwickeln.

Die Kommission besteht neben der UDA aus unionistischen Politikern sowie protestantischen Kirchenführern und Gemeindearbeitern. Ein Mitglied sagte am Wochenende: „Ich glaube, wir gewinnen mehr und mehr an Einfluss, und vielleicht gelingt es uns, die Leute von der Gewalt wegzuführen und den gegenseitigen Respekt wie auch die Moral in den umkämpften Vierteln wieder aufzubauen.“

RALF SOTSCHECK