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Siemens ist gut zu Vögeln

Wie der Elektronikkonzern im Osten der Republik ein Paradies geschaffen hat

Ein Bordellbetreiber interessierte sich für die Insel als Renditeobjekt der erotischen Art

Und sie blühen doch, die Landschaften im Osten der Republik: Görmitz ist ein Paradies. Einheimische sagen „der Görmitz“, obwohl es sich um eine Insel handelt. Auf dem im Achterwasser von Usedom gelegenen Eiland tummeln sich in ungestörter Natur seltene Vögel wie Graureiher und Rohrweiden, Schafstelzen und Wiesenpieper.

Bisweilen kreist sogar ein Seeadler über Feuchtwiesen und Röhrichtfelder. Auch andere Vogelarten fühlen sich wohl auf dem Görmitz, und manchmal schwimmt ein Wildschwein vom Festland herüber. Menschen verirren sich nur selten hierher. Nur ein paar Naturfreunde. So notiert Sebastian Haerter auf der Internetseite www.usedom-touristik.de über eine Brutkolonie des Haubentauchers, der im vergangenen Jahr vom Naturschutzbund (Nabu) zum Vogel des Jahres gekürt wurde: „Die Balz dieser Wasservögel ist ein imposantes Schauspiel: In regelrechten Tänzen richten sich die Taucher dabei im Wasser auf und bilden – passend für einen Hochzeitstanz – ein Herz. Und da kleine Geschenke bekanntlich die Freundschaft erhalten, werden noch Wasserpflanzen oder Fischchen als Mitgift dargeboten. Führt die Zeremonie zum Erfolg, schlüpfen aus den Eiern gestreifte Mini-Taucher, die bald, wie es sich für ordentliche Nestflüchter gehört, aus dem Nest springen und von den Eltern in die Kunst des Überlebens eingeführt werden.“

Möglich wurde die Idylle durch den Elektrokonzern Siemens. Eher ungewollt, denn Siemens hatte in den Wirren von Wende und Wiedervereinigung Anfang der Neunziger das „Kombinat Nachrichtenelektronik Greifswald“ samt Kombinat-eigener Insel von der damaligen Treuhand übernommen. Zu DDR-Zeiten wurde das immerhin knapp eine Million Quadratmeter große Eiland in den Schulferien für die „Verschickung“ von den Werktätigen-Kindern genutzt. Einen Bootssteg sowie eine Hand voll halb verfallener Häuser und Wirtschaftsgebäude gibt es dort noch. Doch die Ruinen herrichten und das Eiland den etwa 700 Siemens-Mitarbeitern in Mecklenburg-Vorpommern als Feriendomizil überlassen will der Konzern selbstverständlich nicht: Die Insel muss weg.

So einfach ist das freilich nicht. Seit Jahren schon versucht die Siemens Real Estate, eine Tochterfirma, die den Immobilienbesitz des Konzerns verwaltet, die Insel zu verkaufen. Von den einst geforderten drei Millionen Euro hat man sich offenbar gedanklich verabschiedet: Die Rostocker Ostsee-Zeitung berichtete, dass der Preis inzwischen auf anderthalb Millionen Euro gesunken ist. Doch auch dafür wird sich kaum ein Käufer finden, denn im vergangenen Jahr hat die Landesregierung die Insel Görmitz zum Naturschutzgebiet erklärt, nur ein kleiner „naturschutzbefreiter“ Teil von zwanzigtausend Quadratmetern darf bebaut werden. Das schließt wirtschaftliche Nutzung, zum Beispiel durch ein großes Ferienhotel, völlig aus. Zudem müsste sich der Käufer zuerst einmal um Energie, Trink- und Abwasser kümmern. Das größte Problem ist jedoch der alte Damm, der Görmitz mit Usedom verbindet. Er wurde gebaut, als die DDR auf der Insel noch nach Erdöl bohrte. Der Damm muss dringend durchlässig gemacht werden: Er verhindert den Wasseraustausch und raubt den Fischen den Sauerstoff. Alles Punkte, die potenzielle Käufer wegen der hohen Zusatzkosten abschrecken.

Dennoch haben sich in der Vergangenheit schon einige Träumer und Spinner bei Siemens Real Estate um die Insel bemüht, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete: dubiose Esoteriker und Schlaumeier, die die Insel für die symbolische eine Mark zu kaufen anboten. Luigi Colani wollte sein gesamtes Machwerk nach Görmitz verlagern, und ein Bordellbetreiber interessierte sich für die Insel als „Renditeobjekt der erotischen Art“. Auch daraus wurde nichts, und die Ostsee-Zeitung kommentierte: „Görmitz wird keine Insel mit rotem Leuchtfeuer“. Doch was aus der Insel tatsächlich werden soll, ist weiterhin unklar. Siemens hat zugesagt, die künftige Nutzung mit den lokalen Behörden abzustimmen. Schließlich habe man eine Verantwortung für die Region. Hiltraud Wessel, Bürgermeisterin der Gemeinde Lütow, zu der auch Görmitz gehört, hat indes die Hoffnung beinahe aufgegeben. Der Bewerber aus dem Münsterland, der einen Bauernhof mit vielen Tieren für gestresste Städter bauen wollte, wäre ihr am liebsten gewesen. Leider konnte er den Kaufpreis nicht aufbringen.

Wie die Dinge liegen, wird der Preis jedoch noch viel weiter sinken. Inzwischen ist ihr jeder recht, solange er nur ein vernünftiges Konzept mitbringt. Und wenn alles nichts nutzt und Siemens eines Tages die Insel resigniert an die Gemeinde überschreibt, will sie Görmitz ganz unter Naturschutz stellen und einen Lehrpfad anlegen. Aber noch ist es nicht so weit. Wer an der Insel interessiert ist, kann ja mal anrufen: Siemens Real Estate, Tel: 0 89-6 36 00. DIETER GRÖNLING

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