: Triumphschrei statt Fortpflanzung
Grüne Gänsekunde: An der Spitze der Formation fliegt meist keines der männlichen Tiere – sondern eine erfahrene, alte Leitgans. Außerdem wechseln sich die Spitzengänse in freier Wildbahn gegenseitig ab
Mein lieber Schwan! Wie die Wildgänse wollen es die Grünen machen. Leitganter Joschka Fischer fliegt vorneweg, und der Schwarm rauscht artig hinterher. Gänse passen gut zu den Grünen. Sie sind ökonomische Tiere und fliegen die geordnete V-Formation auch nicht wegen des „Victory-Zeichens“, sondern um ihr Gänseschmalz möglichst energiesparend zu nutzen.
Dabei fliegen die erfahrensten Gänse an der Spitze. Die jüngeren folgen im Windschatten auf den hinteren Plätzen. Allerdings wechsel sich die Spitzengänse gegenseitig ab – und vorneweg fliegt meist keines der männlichen Tiere, sondern eine erfahrene, alte Leitgans. In deutschen Landen sind die meisten Gänse aber nur Saisonvögel. Als weit gereiste Wintergäste kommen sie aus den Tundren Sibiriens. Dort haben die monogamen Paare im Sommer genistet, ihre Eier ausgebrütet und sich am kurzen Gras fettgefressen.
Als Opfertier und Statussymbol der Reichen ist die Hausgans, Nachkommin der Graugans (Anser anser), schon bei den Ägyptern gehalten worden – bewundert wegen ihres Mutes und ihrer Freiheitsliebe. Die Griechen weihten sie der Fruchtbarkeitsgöttin Aphrodite, die Römer dem Kriegsgott Mars. Sie ordneten die lauten Schnattertiere aber auch einem heikleren Gotte zu: Priapus, Gott der Fruchtbarkeit und der lang anhaltenden Erektion.
Das Christentum degradierte den Vogel zur dummen Gans. Die russischen Tulaer Gänse waren bekannt für ihre besonders streitsüchtigen Ganter, die analog zum Hahnenkampf abgerichtet wurden. Sie bissen und verprügelten sich gegenseitig mit den Flügeln. Aber auch Ganter gehen feste Paarbindungen ein, fand der Verhaltensforscher Konrad Lorenz heraus. Bei ihren Ritualen sei der gemeinsame Triumphschrei wichtiger als die Fortpflanzung. HEIDE PLATEN
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