Zweiter Frühling auf Stütze

Neben der Rente Sozialhilfe bekommen und dann auch noch junge Frauen bei sich wohnen lassen: Das geht zu weit, meint das Amt, schickt seine Prüfer vorbei und protokolliert. Eine kurze Geschichte über die Abgründe der Berliner Bürokratie

von LILLI BRAND

Meine Freundin Ivona lernte im vergangenen Jahr im Wertheim-Restaurant am Ku’damm einen türkischen Rentner kennen. Dieser, Bekir, war sehr charmant und hatte viel Zeit. Ivona freundete sich mit ihm an und sie trafen sich gelegentlich. Sie hatte eine teure Wohnung und bereits Mietschulden, deswegen bot Bekir ihr an, bei ihm einzuziehen.

Er hatte eine schöne Wohnung in Schöneberg. 1965 war er nach Berlin gekommen, wo er als Schlosser gearbeitet hatte. In den 70er-Jahren hatte er seinen Lieblingssohn Bayram nachgeholt, der hier zur Schule ging. Seiner übrigen Familie schickte er regelmäßig Geld. 1991 erkrankte er schwer und wurde als Vollinvalide anerkannt. Äußerlich sah man ihm jedoch nichts an. Die Firma hatte Bekir eine gute Abfindung gezahlt. Und neben seiner Rente bekam er auch Sozialhilfe, sodass meine Freundin Ivona umsonst bei ihm wohnen durfte. Wegen der Sozialhilfe musste sie sich jedoch woanders anmelden. Er schlug ihr vor, dies bei den Eltern seiner Schwiegertochter zu tun.

Bekirs Sohn Bayram hatte seinerzeit ein Mädchen aus der Nachbarschaft entführt – und sie in der Türkei heimlich geheiratet. Zunächst waren ihre Eltern geschockt, als sie dann aber von dem Reichtum erfuhren, den Bekirs Familie in der Türkei inzwischen angehäuft hatte, freuten sie sich über die gute Partie ihrer Tochter. Und freundeten sich schließlich sogar mit Bekir an.

Als dieser jedoch seine neue junge Freundin Ivona bei ihnen polizeilich anmeldete, kam es zum Bruch. Auch Bekirs Familie in der Türkei war entsetzt, als sie vom „zweiten Frühling“ des Rentners erfuhren.

Eines Tages, als Ivona alleine in der Wohnung war, kam ein Prüfer vom Sozialamt vorbei. Er nahm Ivonas Personalien auf und registrierte in der Wohnung verschiedene Kleidungsstücke, die ihr gehörten, sowie auch etliche „Damenpflegemittel“ sowie zwei Betten. Daraufhin wurde Bekir die Sozialhilfe gestrichen – mit der Begründung, dass er mit Ivona eine „eheähnliche Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ führe. Beide mussten anschließend aufs Amt, wo der Sachbearbeiter Ivona zwang, die Richtigkeit ihrer Angaben eidesstattlich zu bestätigen. Dennoch glaubte ihr das Sozialamt kein Wort. Aber auch Bekir nahm den Beschluss nicht einfach hin, sondern ging gerichtlich dagegen vor.

Das Sozialamt schickte daraufhin einen weiteren Prüfer los – diesmal zu der Wohnung, wo Ivona angemeldet war und wo sie angeblich 200 DM Miete im Monat zahlte. Die Hauptmieter gaben zu Protokoll, dass Ivona dort höchstens ihre Post abhole.

Das Sozialamt forderte anschließend Ivona und Bekir auf, einen gemeinsamen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen. Ivona arbeitete zu der Zeit als Kellnerin und verdiente dabei 504 DM netto. Bekir lehnte den Vorschlag des Sozialamts ab. Einen weiteren Prüfer ließ er gar nicht erst in die Wohnung. Nach einigen Wochen wurde ihm ein Gerichtsbeschluss zugestellt. Darin stand, dass man ihm 1. keine Prozesskostenhilfe gewähre und dass er 2. nur Sozialhilfe bekäme, wenn er sich zu der eheähnlichen Beziehung zu Ivona bekennen würde. Den beiden blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Schließlich wurde Ivona 230 DM monatlich bewilligt und Bekir 810 DM. Er bekam das Geld jetzt jedoch nicht mehr regelmäßig auf sein Konto, sondern musste jedes Mal mit Ivona zusammen aufs Amt gehen. Außerdem mussten sie fortan alle Formulare gemeinsam ausfüllen: „Wir waren wie aneinander gekettet“, so drückte sich Ivona aus, die irgendwann die Schnauze voll davon hatte und sich wieder eine eigene Wohnung nahm – in Prenzlauer Berg.

Jetzt trifft sie sich mit Bekir nur noch gelegentlich, um mit ihm den ganzen „Sozialamts-Scheiß“ zu erledigen. Anfang des Jahres kündigte sie auch noch ihren Kellnerjob und meldete sich erst einmal arbeitslos. Sie hofft, dass ihr das Arbeitsamt ungefähr 200 Euro im Monat auszahlt. Noch sind sie dort aber mit dem Ausrechnen beschäftigt.