Anarchischer Comic(s)trip

■ Mass & Fieber gastieren mit „Krazy Kat!“ in der Gaußstraße

Die Anarchie lebt. Zumindest in der Schweiz. Dort hält sich eine kleine Zelle des Widerstands und verschafft sich lautstark Gehör. Mass & Fieber heißt die bunte Züricher Truppe aus Musikanten, Schauspielern und Künstlern. Mit ihrer neuen Produktion Krazy Kat! brachte sie das Thalia in der Gaußstraße bei der Gastspielpremiere zum Kochen. Lang schon hat man die totgesagten linken Utopien nicht mehr so munter auf zwei Beinen – oder vier Pfoten – rocken sehen.

Auftritt: Die Petroleusen, eine Rock-Band mit zwei Gitarre schwingenden Frontfrauen in Leder-Punk-Kluft, einem Zieharmonika-Spieler, einem Pianisten und einem Schlagzeuger. Der Name rührt von den Brandsätze werfenden Frauen der Pariser Kommune her. Und der Sound trifft ins Schwarze. Mit ihrer Stimme könnte Komponistin und Sängerin Sibylle Aeberli glatt zu Courtney Love überlaufen. Auch Bassistin Fabienne Hadorn spielt erfrischend geradeaus und beherrscht tatsächlich zwei Fremdsprachen ohne Zürcher Akzent.

Die Kulisse ist mal Musikgarage, mal die Comicstadt Cocomino. Dort spielt die Geschichte jener Maus namens Ignatz, die sich mittels Pflastersteinen der Liebe der etwas einfältigen Krazy Kat zu erwehren sucht. Diese, beim vielseitigen Tonio Arango als Romantiker mit Herzchen in den Augen, deutet jeden Stein als neuen Liebesbeweis. Gegen so viel rohe Gewalt sieht sich auch Offissa Pupp (Mike Müller) zum Einschreiten genötigt, obwohl er im Herzensgrund die liebestolle Mieze verehrt.

Soweit folgt die Story dem Comic-Klassiker des amerikanischen Zeichners George Herriman von 1913 bis 1943. Immer wieder wechseln die drei Schauspieler von Spielszenen direkt zu brachial musizierten Songs und einer Parallelhandlung, in der sich ein paar historisch überlieferte Anarchisten, Przybyszewski, Proudhon, Baku-nin, Brupbacher und Mühsam beraten. Als sie von der Steine werfenden Maus erfahren, wähnen sie sich der Revolution nahe und suchen die Kameradin auf. Dazu mischt die Crew ein bisschen Züricher Dada und Slapstick mit Reminiszenzen an Rat Pack-Zeiten.

Mass & Fieber sehen Zerstörung als Befreiung. Erst zerdeppern sie lustvoll jede Dramaturgie, wählen eine Darstellungsform der Subkultur und predigen eine herzerfrischende Herrschaftslosigkeit. Nach Bambifikation, einem Abend über die Rehkrankheit der Welt und Präriepriester, die mit großem Erfolg in Hamburg gezeigt wurden, ist Krazy Kat ein weiterer gelungener Spass dieses vor Kreativität bers-tenden Kollektivs. Soviel Anarchie war nie. Annette Stiekele

noch heute und morgen, 20 Uhr, Thalia/Gaußstraße