Wahlkampf-Munition

■ Hamburger Polizei wird mit neuen Geschossen ausgestattet. Diese sollen AngreiferInnen schneller kampfunfähig machen

Zuerst die Bayern, nun rüstet Hamburg nach: 8000 Hamburger PolizistInnen werden ab sofort mit neuer Munition Kaliber 9 mm für ihre Schusswaffen ausgestattet. Die „Deformationsgeschosse“ sollen das Gegenüber schneller angriffsunfähig machen, als es derzeit die alten Vollmantelgeschosse können. Die Munition mit „mannstoppender Wirkung“ ist aber umstritten und wird von Kritikern wegen der schwerwiegenden Verletzungen als „menschenverachtend“ eingestuft.

Eine Münchner Polizistin löste die Diskussion aus. Sie schoss aus kurzer Distanz auf einen Mann, der sie mit einem Messer attackierte. Das Projektil durchschlug den Körper und traf den dahinter stehenden Bruder des Angreifers tödlich in den Kopf. Mit anderer Munition, so die Strategen, wäre das nicht passiert. Denn Deformationsgeschosse verformen sich beim Aufprall auf den Körper und verbrauchen den Großteil ihrer Energie. Die Gefahr von Durchschüssen oder Querschlägern wird minimiert. „Die bisher verwendeten Patronen, sind nicht mehr zeitgemäß“, begründet Polizeisprecher Ralf Kunz den Schritt. Auch die Innenministerkonferenz hatte eine Empfehlung für die Deformationsgeschosse abgegeben.

Der Einsatz der Vollmessinggeschosse mit Kunstoffspitze bleibt aber umstritten. So warnt Professor Oesten Baller von der Polizeifachhochschule Berlin in der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP vor den „irreversiblen Schädigungen“. „Im Prinzip darf Deformationsmunition nur unter den Voraussetzungen gegen einen Menschen eingesetzt werden“, so Baller, „in denen ein (...) finaler Rettungsschuss für zulässig gehalten wird.“ Daher sei die allgemeine Verwendung schwerlich mit dem Grundsatz auf Verhältnismäßigkeit vereinbar. Laut Kunz kam es in Hamburg 2001 nur zu drei gezielten Schusswaffeneinsätzen auf Personen.

„Viele Schüsse werden ohne Sinn und Verstand abgegeben“, grollt auch Thomas Wüppesahl von den Kritischen PolizistInnen unter Hinweis auf den Münchner Fall. Das Problem liege woanders. So habe die unabhängige „Peinelt-Studie 2000“ über die Münchner Polizei ergeben, dass 63 Prozent der BeamtInnen ihre Schießausbildung für unzureichend halten und 71 Prozent sich bei Konfliktsituation sogar überfordert fühlten.

Inzwischen gibt es in Bayern den ersten Todesfall, der wohl auf die neue Munition zurückzuführen ist. In Aschaffenburg schoss ein Polizist auf eine junge Frau, nach dem diese seinen Kollegen mit einem Messer bedroht hatte. Das Geschoss prallte nicht am Knochen ab, sondern brachte ihn zum Zerbersten, sodass die Splitter die Schlagader durchtrennten. Magda Schneider