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Gottes Glöckchen

Der alte Biber und das Meer: In Berlin ließ Brian Wilson Wellen der Erinnerung durchs ICC schwappen und rührte diejenigen, die eh nahe am Wasser gebaut haben, mit perfekten Harmonien zu Tränen

von HARALD FRICKE

Es sind noch zwanzig, dreißig Meter, die Welle gleitet langsam aus, und dein Surfbrett landet an einem völlig weißen Stück Strand. Du schaust dich um, und außer dir ist nur eine wunderhübsche Frau zu sehen, die dir zuzwinkert, weil du gerade einen unglaublichen tail slide auf dem sich jäh brechenden Wellenkamm hingelegt hast. Das wäre, so der Pop-Metal-Sänger Brandon Boyd von Incubus letztens auf Viva, absolutes Glück.

Weil solche Momente in Wirklichkeit selten sind, gibt es Musik. Sie fängt das Gefühl der Erfüllung ein, wiederholt und verlängert es. Die Beach Boys haben damit dutzendweise Hits gelandet. Doch der Sound, dessen aufgewühlter Drumbeat wie der Ozean zischelt und dessen gestochene Vocals im Kopf nachklingen wie Gottes Glöckchen, hat sich landeinwärts bewegt, hat das Meer verlassen und irgendwann Festsäle, Autohäuser und schließlich das Berliner ICC, Saal 2, erreicht, wo sonst die Flippers oder Patrick Lindner spielen. Das tut natürlich demjenigen weh, der ohnehin nah am Wasser gebaut hat. Das wirkt aber auch fatal auf die Musiker, die den Fun-Sound der Sechzigerjahre immer noch unters Volk bringen müssen. Nichts ist grausamer, als in der Revivalschlaufe der guten Laune gefangen zu sein.

Für Brian Wilson wurde es die Hölle. Nie ein großer Freund des Sports, sah er nach Drogenstress und Psychotherapien ein Leben als Wrack auf sich zukommen: gescheitert – an dem einen Werk, „Smile“, das als Konzeptalbum das amerikanische Pendant zum „Sgt. Pepper“ der Beatles hätte werden sollen und nie veröffentlicht wurde, weil Wilson während der Aufnahmen völlig ausfranste zwischen Flügelhörnern, Cellos und Flöten. Danach war die Welle verflogen, und um Wilson wurde es einsam am Strand.

Den Spagat zwischen bemitleidetem Sixties-Kuriosum und viel geliebtem Popgenie muss er heute noch aushalten. Denn der Hitfabrikant von „Surfin’ USA“, „Barbara Ann“ oder „Help me Rhonda“ steht ja für ein anderes Modell als der introvertierte Komponist, der seine Musiker als Backgroundchor für „Vegetables“ rhythmisch Gemüse vor dem Mikro kauen ließ. Wilson wäre gerne beides: strahlender Blendax-Biber einer Musik gewordenen Freizeitindustrie und depressionsgebeutelter Songwriter, der mit Drogendämonen, wenn nicht gleich der ganzen Popindustrie um das alle Welten in sich einschließende Klangbild kämpfte und verlor.

Deshalb wundert man sich auch, wie Wilson die Irrwege seiner Karriere so still hinnimmt, wenn er sie heute mit zehnköpfigem Begleittross aufführt. Als er „Brian Wilson“ von den Barenaked Ladies covert, in dem er selbst als bettlägeriger Träumer geschildert wird, fallen persönliche Tragik und Parodie zusammen: Da sitzt er am Klavier, schichtet kindlich gestikulierend imaginäre Töne mit den zitternden Händen und wünscht am Ende des Songs allen einen guten Abend. Das ist der Mann, der mit seiner Musik auch Einkaufszentren eröffnen könnte. Doch zur zweiten Hälfte des Sets verkündet er ebenso begeistert, dass sich jetzt alle zurücklehnen und ihre Schuhe ausziehen dürften, um die Musik seines 66er-Albums „Pet Sounds“ noch einmal komplett zu hören. Bei den Instrumentals dreht er sich ergriffen seinen auf den Punkt vorbereiteten Mitmusikern zu, weil sie spielen, was er immer gewünscht hat: perfekte Harmonien. Paul McCartney hat bei „God only knows“ geweint; und auch im ICC kommen einigen Melancholikern die Tränen bei „’til I die“. Schöne Zeit, die da vorüberfliegt als Panorama aus Meeresrauschen und goldiger Sonne über dem Orange County Kaliforniens.

Überhaupt Jugend: Als die Beach Boys in den Sechzigerjahren auftraten, waren ihre Konzerte mit hysterisch kreischenden Mädchen gefüllt. Beim gealterten Brian Wilson sitzen dagegen überwiegend mit ihm herangewachsene Männer im Publikum, falten ihre Hände über den Schreibpulten im Kongresssaal und beten, dass er sich mit seiner merklich ausgedünnten und im hohen Bereich aufgerauten Stimme nicht gleich wieder versingt. Wenn er es denn doch tut, zuckt man kurz zusammen und hofft inständig, dass ihm das nächste Falsett beim elegischen „Surf’s up“ oder in „Good vibrations“ gelingen möge. So hält Wilson seine Fans in Atem.

Und auf Distanz. Denn sonderlich entertaining ist er nicht. Hier mal ein Winken oder ein Hello!, ansonsten aber sind seine Augen starr auf einen Ort gerichtet, an dem du und ich vermutlich noch nie gewesen sind. Orpheus wird ihn kennen, Syd Barrett war mal da, vielleicht auch Walt Disney. Es sind dessen Zeichentrickbilder, die sich über das Bühnengeschehen lagern: Der Biber ist alt und faltig geworden; er sitzt umringt von Schafen, Eichhörnchen und Entlein; er singt und erzählt – von früher und davon, dass er den Traum vom „Surf’s up“ am Leben hält: „I heard the word / Wonderful thing / A children’s song“.

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