Den Traumatisierungen trotzen

■ Portrait einer KZ-Überlebenden: Charles Najmans „Ist die Erinnerung wasserlöslich?“

Ich bin hier wegen den Deutschen“, erklärt die alte Dame dem jungen Mann, den sie gerade im Kurpark kennen gelernt hat. Sie heißt Solange Najman, und ihr Sohn, der Regisseur Charles Najman, hat einen Dokumentarfilm über sie gedreht. Sie hat eine Geschichte, die leider nicht außergewöhnlich ist für eine europäische Jüdin, die den Nationalsozialismus erleben musste.

Madame Najman wurde als junge Frau ins KZ Bergen-Belsen verschleppt. Sie hat überlebt, ist nach Frankreich gezogen, hat geheiratet und Kinder bekommen. Sie hat versucht, ein normales leben zu führen. Jetzt fährt sie alle zwei Jahre zur Kur nach Evian, wo sie viele andere überlebende Juden, darunter drei Freundinnen, trifft. Als eine Art Wiedergutmachung bekommen die traumatisierten KZ-Opfer Heilkuren vom deutschen Staat finanziert.

Vom Arzt verschriebene Brausemassagen für ehemalige KZ-Insassen – das sieht noch grotesker aus als es klingt. Charles Najman holt die Duschköpfe in den Baderäumen bewusst ins Bild, lässt sie aber unkommentiert und damit umso subtiler wirken. Immer sind die Ge-spenster der Vergangenheit in Ist die Erinnerung wasserlöslich? präsent.

Wenn Solange Najman mit ihren Freundinnen diskutiert, was die Wasserkuren überhaupt gegen die schrecklichen Erinnerungen ausrichten können, wird deutlich, dass ihre Lebenslust sich in einem ständigen Kampf gegen die seelischen Zerstörungen, welche die KZ-Haft hinterlasssen hat, befindet. Immerhin wird es für ein paar Wochen besser mit den Albträumen, stellen die Frauen trocken fest. Aber vergessen können sie die Zeit in Bergen-Belsen nicht. Wie so viele Überlebende werden sie bis heute von Schuldgefühlen gequält. Denn schon gar nicht vergessen können sie die Menschen, die sie geliebt haben und die dort elend zugrunde gegangen sind.

Umso bewundernswerter, mit welchem Elan sich Madame Najman trotzdem ins Leben stürzt. Sie ist der Mittelpunkt des Freundeskreises, und ihre Rolle ist es, die Anderen im Zweifelfall aufzumuntern. Immer wieder sieht man die alte Dame singen oder ausgelassen tanzen. Ihre zeitweilige Exaltiertheit versteckt der Film genauso wenig, wie ihre psychischen Wunden.

Charles Najman ist es gelungen, einen Film über die Shoah zu drehen, ohne ein einziges Mal auf Archivmaterial zurückzugreifen. Eigentlich handelt der Film von der Frage, wie Lebenslust bei einer KZ-Überlebenden in der Gegenwart möglich ist, und gibt damit zugleich einen Blick auf die deutsche Vergangenheit frei. Gleichzeitig hat Najman mit dem Portrait seiner Mutter eine liebenvolle Hommage an eine willensstarke Frau geschaffen. Ariane Dandorfer

So (mit von Charles und Solange Najman), 11 Uhr, Metropolis