Lärm im Ozean

■ Umweltschützer streiten mit ForscherInnen über Gefahren akustischer Forschungsmethoden für Wale. Die könnten die Orientierung verlieren

Im Ozean ist der Teufel los: überall explodiert und dröhnt es. „Einen Heidenkrach“ nennt Rainer Paulenz den Unterwassergeräuschpegel in der Nordsee.

Paulenz ist Verwaltungsdirektor am Alfred-Wegener-Institut für Klima- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Möglicherweise hat dieser „Heidenkrach“ auch die drei Pottwalmännchen in der Nordsee kürzlich so irritiert, dass sie die Orientierung verloren und im flachen Wattenmeer gestrandet sind.

Aber auch die Nato durchflutet die Ozeane mit Schallwellen, um noch das leiseste feindliche U-Boot aufzuspüren. Daneben sind WissenschaftlerInnen von Paulenz' Institut für das Dröhnen unter Wasser verantwortlich. Denn zur AWI-Forschung gehört das Vermessen des Meeresbodens. Das Institut arbeitet dabei fast ausschließlich mit seismischen Methoden, so Rainer Paulenz.

Die Walforscherin Linda Weilgart erläutert, dass beim Einsatz von sogenannten „Airguns“, mit denen diese Vermessungen gemacht werden, Miniexplosionen ausgelöst würden, die zwar nur Milisekunden lang Krach machen, dafür aber mit einer Lautstärke von 200 bis 220 Dezibel und mit einer großen Frequenzbreite. Zum Vergleich: Ein Presslufthammer dröhnt mit 100 Dezibel in menschliche Gehörgänge, ein Düsenflugzeug mit etwa 140 Dezibel.

Zumindest ist den Geowissenschaftlern halbwegs bewusst, welche Auswirkungen die Lärmbelastung haben kann: „Wenn man daran geht mit Methoden, wie die Marine sie benutzt, dann platzt den Walen das Trommelfell“, sagt Paulenz' Institutskollege Dieter Fütterer. Der Geowissenschaftler leitet augenblicklich eine international besetzte Forschungsexpedition in die Antarktis. An Bord der deutschen „Polarstern“, einem Forschungsschiff, fahren insgesamt 40 WissenschaftlerInnen mit. Sie würden gerne akustisch den arktischen Meeresboden vermessen.

Allerdings: Bei ihrer Arbeit sind sie an den Antarktisvertrag gebunden. Der soll den Südpol und das Meer mit allen Lebewesen darin bis rauf zum 60. Breitengrad schützen. Für deutsche Projekte bedeutet das: „Wir müssen alle Forschungsvorhaben beim Umweltbundesamt genehmigen lassen. Nur wenn wir garantieren können, dass unsere Forschung keinen Schaden anrichtet, kriegen wir die Erlaubnis.“, so Fütterer. Und weiter: „Im Moment ist das Umweltbundesamt mit der Genehmigung akustischer Verfahren sehr zurückhaltend.“

Ob das an den vielen gestrandeten Walen in den letzten zwei bis drei Jahren liegt? Jedenfalls scheint es, obwohl nicht vorgesehen, national unterschiedliche Spielräume für die Genehmigungen zu geben. Der Expeditionsleiter Fütterer deutet an, dass beispielsweise Forschern aus Russland weiter reichende Untersuchungen erlaubt werden könnten, als deutschen. Zwar beteuert er: „Ich möchte mir als Deutscher nicht auf Umwegen Forschung zugänglich machen“, aber genau diese Aussage weckt erst den Verdacht, dass es solche Umwege gibt.

Das Problem ist, dass zwar niemand bestreitet, dass Schallwellen im Meer Auswirkungen auf Wale und alle anderen Tiere haben, die sich selbst mit Sonaren orientieren. Umstritten sind nur die Konsequenzen. Forschung und Umweltschutz scheinen wieder einmal unvereinbar.

Die Expertin für Walkommunikation, Linda Weilgart, will die Meeresbeschallung auf ein absolutes Minimum reduzieren. Denn auch wenn man nicht sofort Auswirkungen von Unterwasserlärm auf die Wale sehen könne, wüßte man doch nicht, welche langfristigen Konsequenzen sie haben könnte. Denn nicht nur die Orientierung wird gestört, auch die Kommunikation der Tiere untereinander, etwa wenn ein Walmännchen ein Walweibchen sucht. Und selbst wenn Wale sich nicht durch Lärm im Meer von einer Nahrungsquelle vertreiben lassen, heißt das noch nicht, dass der Greräuschpegel sie nicht stresst.

Bei allem Wissen um die Gefahren und der Betonung, dass „auch das Alfred-Wegener-Institut für Umweltschutz“ sei, macht Dieter Fütterer aus seinem Frust über die strikten Auflagen keinen Hehl: „Ich wünsche mir, dass ich frei forschen kann. Außerdem kann ich doch nicht schützen, was ich nicht kenne. Die Deutschen machen sich lächerlich.“ Weilgart sieht das anders: „Die Forscher sind ignorant. Es gibt nicht genug Diskussionen darüber, wie Meeresbodenforschung und Walschutz zusammengehen können. Deutschland ist vorbildlich.“ Ulrike Bendrat