„Wir sehen uns in Nangijala“

Die Nachrufe waren vorbereitet. Mit Astrid Lindgren verliert Schweden eine aufmerksame Kritikerin der gesellschaftlichen Verhältnisse

STOCKHOLM taz ■ Er kam nicht unerwartet für Schweden, Astrid Lindgrens Tod. Sie war schon länger krank, öffentlich aufgetreten war sie seit Monaten nicht mehr. Die Nachrufe waren vorbereitet.Nur wenige Stunden zuvor hatte die schwedische Nachrichtenagentur TT gemeldet, dass Astrid Lindgrens Bücher auch im vergangenen Jahr wieder auf Platz 1 in schwedischen Bibliotheken lagen – trotz Harry Potter und mit weitem Abstand vor anderen VerfasserInnen. „Bei ihr ist es wirklich so, dass sie unheimlich viel bedeutet hat für alle zwischen 3 und 99 Jahren“, sagt Gunlög Raihle, Chefin der Kinder- und Jugendbuchabteilung der Stockholmer Stadtbücherei: „Und so wird es wohl auch immer bleiben.“Trotz ihrer großen Bedeutung für Schweden – eine öffentliche Person zu sein weigerte sie sich erfolgreich. Zahllos die JournalistInnen, die, nachdem sie endlich ein Interview mit ihr bekommen hatten, frustriert feststellen mussten: Etwas Neues habe ich von ihr nicht erfahren.Angesichts ihrer Fähigkeit, die Öffentlichkeit auf Distanz zu halten, wog ihr Wort umso schwerer, wenn sie sich in öffentliche Debatten einmischte: zu Umweltschutz, Tierschutz, Frieden, Jugendkriminalität. 1976 dürfte ihre Sage „Pomperipossa in Monismanien“ über den Unsinn einer Steuergesetzgebung, die mehr als 100 Prozent des Einkommens wegversteuerte, ihren Teil zum Sturz der sozialdemokratischen Regierung beigetragen haben. „Ich kann besser rechnen als Sträng“, war ihre Antwort auf Finanzminister Gunnar Strängs Verweis, sie solle lieber Kindergeschichten schreiben.Hatte sie Gedanken an den Tod, ein Danach? „Ja, aber keinen Glauben an Gott“, antwortete sie einmal auf diese Frage: „Und das ist eigentlich eine Schande, weil ich ihm so oft danke und ihn bitte, wenn ich verzweifelt bin.“ Aber eine Seele müsse es doch geben, überlegte sie ein andermal: „Was anders sollte uns sonst regieren? Es kann doch nicht nur das Bauchweh sein.“Viele dürften in diesen Tagen in „Gebrüder Löwenherz“ nachlesen: „Wir sehen uns in Nangijala.“ Oder in „Pippi Langstrumpf“: „Die Sterne leuchteten über dem Dach der Villa Kunterbunt. Dort war Pippi. Sie wird dort immer sein.“ REINHARD WOLFF