vorlesungskritik
: Über rheinische Bauern, nationale Souveränität und das unablässige grüne Flimmern

Wie Karl Lamers frei nach Goethe das Unerforschliche verehrte

Ein bisschen wirkt er wie ein Büttenredner. Was nicht allein daran liegt, das er mit unverkennbar rheinischem Zungenschlag spricht. Karl Lamers, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, galoppiert im Goethe-Saal des Harnack-Hauses in gelöster Stimmung durch die Rahmenbedingungen deutscher Außenpolitik im Zeitalter von Internet und Globalisierung. Mit schalkhaftem Lächeln lässt er zunächst einmal lieb gewonnene Gewohnheiten hinter sich: Nationale Souveränität sei immer weniger von Bedeutung. Welche Alternativen habe es denn zur Währungsunion gegeben? Welche zum militärischen Eingreifen im Kosovo und in Afghanistan? Fast gar keine. Und in Zukunft werde es noch weniger Spielraum geben.

Die anwesenden OSI-Studenten tragen es mit Fassung. Doch Lamers wendet sich nun direkt an seine Zuhörer: „Und jetzt sagen Sie mir mal, wie ich das den Landwirten in meinem Wahlkreis klar machen soll!?“ Dann malt er ein drastisches Zukunftsszenario aus. Die zukünftige europäische Eingreiftruppe werde „integrierte Entscheidungsstrukturen“ erfordern, ja geradezu die „Vergemeinschaftung“ der Streitkräfte, eine Art europäisches Parlamentsheer. Nun ja –das dürfte allerdings nicht nur den rheinischen Bauern schwer zu vermitteln sein.

Doch niemand, so Lamers, könne heutzutage noch sagen: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“ Die Medien, vor allem das Fernsehen, würden die Ereignisse in allen Ecken der Welt beleuchten. Jedoch mit unterschiedlicher Helligkeit. Der Genozid in Ruanda sei schließlich schlimmer gewesen als der gesamte Balkankrieg, und doch hätten die Europäer nur bei Letzterem eingegriffen. Dazu komme das Problem der Zensur. Ähnlich wie im Golfkrieg würde man nun in Afghanistan nur „grüne Pünktchen“ zu sehen bekommen.

Lamers, der bisher frei gesprochen hat, schaut nun doch einmal in ein vor ihm liegendes Manuskript. Im Hintergrund des geübten, jedoch heute nicht wirklich gut vorbereiteten Redners erahnt man einen in die Wand eingelassenen Sinnspruch Goethes: „Schönstes Glück des denkenden Menschen ist das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.“

Lamers holt aus zu einer fundamentalen Kritik der Bildberichterstattung des Fernsehens: Da gehe es viel zu oft um unwichtige Dinge: „Sitzt der Schlips richtig?“ Im Rundfunk und in der Zeitung erfahre man viel eher die notwendigen Hintergrundinformationen. Die allgemeine Verflachung des transportierten Inhalts sei problematisch. Die Wirklichkeit würde mittlerweile nur noch fragmentarisch übermittelt.

Das bringt den Politiker auf die interessante Frage, inwieweit denn die Medienwirklichkeit überhaupt zutreffend sei. Die Wahrheit, so Lamers, bleibe doch am Ende ein „eigen Ding“. Na so was. Bei den sporadischen Besuchen von Politikern im Berliner Quartier scheint jedenfalls der Reiz, auch das Erforschliche ruhig zu verehren, recht stark ausgeprägt zu sein. Ob die denkenden Menschen damit glücklich werden, bleibt die Frage. ANSGAR WARNER