Ein Schritt zurück

Anstatt Gesetze über Meinungsfreiheit an EU-Standards anzupassen, will die Türkei die Vorschriften verschärfen

ISTANBUL taz ■ Für Journalisten, Schriftsteller und Menschrechtler drohen sich in der Türkei die Bedingungen noch weiter zu verschlechtern. Am Montagabend scheiterte ein Versuch von Mesut Yilmaz, dem Juniorpartner in der türkischen Koalitionsregierung, eine bevorstehende Novellierung diverser Strafrechtsparagraphen zur Meinungsfreiheit noch einmal zu verschieben, um die massive Kritik an dem vorliegenden Reformpaket zu berücksichtigen. Vor allem Devlet Bahceli, Chef der ultrarechten MHP, will von den Einwänden liberaler Juristen und Kritikern aus den Reihen der EU nichts hören. So wird wahrscheinlich noch Ende dieser Woche ein Gesetzespaket im Parlament eingebracht, durch das die Strafrechtsparagraphen 132, 156 und diverse Artikel des Antiterrorgesetzes in einer Weise reformiert werden, die die Meinungsfreiheit noch weiter einschränkt statt bestehende Restriktionen abzuschaffen. In der Vergangenheit waren gerade auf der Basis dieser Vorschriften zahlreiche Publizisten und Menschenrechtler verurteilt wurden.

Seit Jahren werden die fraglichen Paragraphen massiv kritisiert, weil damit alle Kritiker der staatlichen Kurdenpolitik und vermeintliche oder tatsächliche Islamisten mundtot gemacht wurden. Mit einer Änderung der Verfassung im letzten Herbst sollten nun die Voraussetzungen geschaffen werden, die türkischen Gesetze dem EU-Standard und den Kopenhagener Kriterien anzupassen. Nachdem jetzt die Entwürfe für die Neufassung der strittigen Gesetze vorliegen, stellen Juristen, Journalisten und die Vertreter der EU-Kommission entsetzt fest, dass die Neufassung „schlimmer ist als die bestehenden Gesetze“.

Schon die Möglichkeit, den gesellschaftlichen Frieden zu stören, kann mit drei Jahren Knast bestraft werden. Auch wer sich lediglich über einen Polizisten beschwert, droht wegen Verunglimpfung der Sicherheitsorgane gleich für mehrere Jahre hinter Gittern zu verschwinden.

Die EU war so alarmiert, dass sie Ende vergangener Woche eine Botschaftertroika zu Premierminister Ecevit schickte, um ihm ausrichten zu lassen, dass diese Reform weit davon entfernt sei, die Erwartungen in Brüssel zu erfüllen. Doch Bahceli will sich „keinem EU-Diktat“ beugen und beschwerte sich bei seinen Koalitionspartnern über die „Kolonisatorenmentalität“ der Westeuropäer. Ecevit akzeptierte die Blockade durch seinen Koalitionspartner Bahceli und ließ der EU-Vertreterin in Ankara, Karin Fogg, ausrichten, manchmal stünde leider die „Demokratie einer Demokratisierung“ im Weg. Der kleinere Koalitionspartner Anap und einzelne Abgeordnete aus Ecevits DSP wollen nun über Änderungsanträge im Parlament noch versuchen, dass Schlimmste zu verhindern. JÜRGEN GOTTSCHLICH