Salsamuffin von der Seine

Der kosmopolitische Sound des 21. Jahrhunderts? Sergent Garcia kreuzt Reggae und Rock, Salsa und HipHop – am Sonntag in der Fabrik  ■ Von Stefan Franzen

Die alternative Latin-Szene boomt. Manu Chao mit seinem zweiten Album ist nur die Spitze einer enormen Bewegung, die in unseren Breiten erst langsam Konturen gewinnt. Besonders Barcelona ist brodelnde Brutstätte eines kantigen Sounds, der denkbar weit weg ist von den Chartsstürmern Ricky Martin oder Jennifer Lopez. Seine Wurzeln hat hier neben Manu Chao auch Bruno Garcia, der seit drei Jahren mit einer Eigenkreation namens „Salsamuffin“ abräumt und derzeit seinen internationalen Ruf ausbaut.

Iberische Einflüsse vom Vater, französische mütterlicherseits – so geprägt, spielte er im Pariser Quartier Belleville zunächst fünfzehn Jahre in den Reihen einer Punk-Band mit dem kryptischen Namen Ludwig 88: „Schon damals war ich ein Rebell, denn wir haben den Punk umgedreht und auf Reggae getrimmt. Zur selben Zeit aber hatte ich HipHop-Projekte laufen und habe mit dem Bawawa Sound Sys-tem gearbeitet.“ Pendelnd zwischen Paris und der katalanischen Küste kreierte er einen Raggamuffin in spanischer Zunge und bekam dann plötzlich Lust, Jamaika mit Kuba zu verkuppeln: „Ich habe mich zuhause hingesetzt und im Alleingang das erste Album unter dem Namen Sergent Garcia aufgenommen.

Es sollte als Schablone für weitere Projekte fungieren. „Damals waren gerade Mano Negra und Les Négresses Vertes hip, und ich musste mich zwingen, die nicht zuviel anzuhören. Sonst hätten die Leute mich am Ende für ein Abziehbild von denen gehalten.“ Eines Tages hieß es, er solle beim Pariser Latin-Festival „New Morning“ das Vorprogramm von Salsa-Star Isaac Delgado bestreiten – und da dies mit Maschinen schlecht möglich war, trommelte er sieben Musiker mit Karibik-Erfahrungen zusammen, unter ihnen zwei Kubaner, einige Franzosen und ein Pole. Die Locos del Barrio waren geboren.

„Unsere Musik verkörpert das kosmopolitische Paris des 21. Jahrhunderts, nicht die Kultur eines bestimmten Quartiers. Die einzelnen Viertel hier unterscheiden sich nur in Nuancen. Barbès ist vielleicht ein wenig arabischer gefärbt, Belleville schwarzafrikanischer. Aber Paris insgesamt ist der momentan wichtigste Kreuzungspunkt zwischen Afrika und Lateinamerika.“ Unter die besinnungslose Partylaune, mit denen Formatsender die Latinomusik oft gleichsetzen wollen, lässt sich der Sergent nicht subsumieren: „Wenn man sich mit Stilen auseinandersetzt, die eine starke regionale Verankerung haben, sollte man nicht nur ein Party-Patchwork zum Abtanzen präsentieren. Wir respektieren auch die Wurzeln unserer Inspiration.“

Weshalb sich in dem atemberaubenden Mix aus Salsa, HipHop, Reggae, Rock und sattem Blechbläser-Satz auch immer wieder pure perkussive Zwischenstopps, Rückblenden auf die rituellen afrikanischen Ursprünge finden. Eben ohne Grenzen, Sin Fronteras, so auch der Titel der aktuellen CD, musiziert die mittlerweile zwölfköpfige Combo. Da lädt man dann auch gerne mal das blinde Blues-paar Amadou & Mariam aus Mali oder den rauhen Gitano Balbino vors Mikro, tritt zusammen mit den Salsa-Königen Los Van Van auf, aber ebenso den Rappern von Cypress Hill. „Ich hoffe, dass unsere Musik einen höheren Grad an Toleranz und Öffnung des Geistes nach sich zieht, vor allem unter der Jugend“, bekräftigt der Bandleader. „Wir sind noch nicht gewohnt an diesen kosmopolitischen Zustand. Das gilt natürlich zunächst für die Ballungszentren, für ein Dorf auf dem französischen Land ist karibische Musik freilich ziemlich unerheblich. Aber sie kann doch ein Fenster öffnen zur Welt, vor allem zur ,Dritten Welt' mit ihren Problemen. Ganz zentral ist hier natürlich der Rassismus, der fast immer aus einer völlig unbegründeten Paranoia entsteht.“

Bereits seit Jugendzeiten übrigens trägt Bruno stolz seinen Spitznamen, immerhin – das mag verwundern – den von Zorros bösem Gegenspieler. Ein Weltverbesserer, der sich nicht nur musikalisch seine kleinen Verschrobenheiten bewahrt hat.

Sonntag, 21 Uhr, Fabrik