: Stillgestellte Bilder aus Tel Aviv
■ So aktuell wie vor zehn Jahren: Assi Dayans Life According to Agfa im 3001
Angesichts der unverändert angespannten Lage in Nahost zeigt das 3001-Kino in dieser Woche noch einmal Assi Dayans vor zehn Jahren gedrehte, düstere Zustandsbeschreibung des israelischen Alltags, Life According to Agfa. Nicht nur auf europäischen Leinwänden, auch in Israel selbst brachte es dieser – als Teil einer Trilogie „Über die Suche nach dem Sinn des Lebens“ entstandene – Film zu einigem Erfolg. Und tatsächlich wirken die mit Ausnahme des Schlusses durchgängig schwarz-weiß gehaltenen Bilder auch heute noch aktuell.
Als hätte der 1945 geborene Sohn von Moshe Dayan es schon damals geahnt, fror er zahlreiche Szenen des Films kurz ein, immer dann, wenn die Fotografin Liora auf den Auslöser ihrer Kamera drückte: Sinnbilder eines Konfliktes, in dem, falls sich überhaupt etwas bewegt, auf einen Schritt vor stets zwei zurück folgen. Sinnbilder auch eines allgegenwärtigen Todes, den Dayan in der farbig gedrehten Schlusssequenz des Films – in Zeitlupe – als Massaker durch Angehörige der israelischen Verteidigungsarmee inszeniert, und er treibt damit dem zeitlos wirkenden, historisierenden Schwarzweiß der vorangegangenen Ereignisse schonungslos Gegenwärtigkeit ein. „Heute in einem Jahr“, wie wir gleich zu Beginn des Films erfahren.
Die unterschiedlichsten Leute stranden nachts in einer Bar in Tel Aviv, Israelis, unter ihnen Araber mit israelischem Pass, Palästinenser, aber auch Milchgesichter aus den Truppen der UN, Drogenfahnder, Drogensüchtige, Soldaten. Da gibt es die angegraute, zum Mondänen neigende Bar-Besitzerin Gloria, die jede Nacht einen neuen Jüngling abschleppt und, ohne es zu ahnen, mit einem tödlich Krebskranken, dem verheirateten Eli eine Liebesbeziehung unterhält. Da gibt es eine Kellnerin, die begeistert allen erzählt, sie habe endlich ein Visum für Amerika bekommen, und doch so wenig an eine Zukunft glaubt, dass sie trotz ihres enormen Kokskonsums ständig zu heulen beginnt. Da ist Benny, der Drogenbulle, der mit Glorias Partnerin, der Fotografin Liora zusammen wohnt, manchmal auch schläft, ansonsten aber einen One-Night-Stand nach dem anderen hat. Da ist die depressive und Psychopharmaka-Abhängige Rivka, weggelaufen aus dem Kibbuz, die dort eigentlich einen Mann und ein Kind hat und sich von Benny zu einer seiner berühmten Zwei-Minuten-Nummern überreden lässt.
„Sinn des Lebens“, ein sarkastischeres Oberthema für diese Abbilder einer Suche nach dem schnellen Fick, dem schnellen Geld, dem schnellen Spaß, der zum Dauerzustand gewordenen Haltung eines Jetzt-oder-Nie hätte Dayan diesem Film kaum geben können. Dann ist da noch die palästinensische Küchenkraft. Am Kopf verletzt kommt der Mann zur Arbeit und erfindet für jeden, der ihn fragt, eine neue Geschichte. Sein Highlight: „Die Steine haben Soldaten nach mir geworfen.“ Zu der eruptiven Gewalt, die selbst aus dem Liberalismus der Barbesucher immer wieder hervorschnellt, gesellt sich ein ständiger Wortwitz in den Dialogen. Es ist kein jüdischer Wortwitz mehr, er gehört längst zur Umgangssprache aller Menschen, die in Israel leben.
Nicht umsonst dürfte Assi Dayan für den Ort, an dem er seinen israelischen Mikrokosmos verdichtet inszeniert, den Namen Barbie-Bar ausgesucht haben. „Ob es hier Barbie-Puppen zu kaufen gebe“, fragt ein verirrtes amerikanisches Touristenpärchen, vom „Schlächter von Lyon“ nichts ahnend, und wird verlacht. An den Wänden der Bar hängen – neben den üblichen mit Coke-Werbung verzierten Spiegeln – gerahmte Fotos von KZ-Häftlingen, es könnten Aufnahmen von Theateraufführungen sein. Wie nebenbei hat Dayan damit der eingefrorenen Gründungserzählung des Staates Israel Raum gegeben: dass er Schutz zu sein habe für die von Verfolgung und Vernichtung bedrohten Juden. Life According to Agfa zeigt diese Erzählung als das Trugbild, zu dem sie geworden ist.
Christiane Müller–Lobeck
täglich, 20.30 Uhr, 3001
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