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im dienste der geschlechterforschung

von KATHRIN PASSIG

„Männer wollen nur das eine und Frauen reden sowieso zuviel“, „Männer wollen nur das eine, Frauen auch“, „Männer sind anders, Frauen auch“, „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“. Schwule Mädchen lesen so was und glauben es. Richtige Frauen testen selber. Denn dank der pharmazeutischen Industrie kann ja mittlerweile jedes dahergelaufene Geschlecht ein wenig Betriebsspionage in den Hormonwerken betreiben. Wer einigen Testosteronpflastern ein neues Zuhause bieten möchte, dessen touristisches Interesse kann jedenfalls leicht befriedigt werden. Metallisch und professionell auf der Business-Seite sehen die Pflaster aus, hautfarben und dezent auf der anderen. Nur die Dosierung ist leider achtmal so hoch wie in der einzigen Studie, die das Internet zum Thema „Wohltätige Testosteronwirkung auf Frauen“ hergibt. Da die Pflaster innerlich mit Glibberkram angefüllt sind, scheidet Zerschneiden in acht Teile aus. Ich beschließe, sie stattdessen nur ein Achtel der vorgesehenen Zeit zu tragen, teile 24 durch 8 und komme auf zehn Stunden. Bereits kurze Zeit nach dem Aufkleben des ersten Pflasters durchdringen männliche Hormone mein Rechenzentrum und teilen mir mit, dass 24 durch 8 gar nicht 10, sondern 3 ergibt. So ist das also!

Gleich am nächsten Morgen erfüllt mich männlicher Tatendrang. Ich repariere erst mal mein Fahrrad, während ich auf das Sprießen der in Aussicht gestellten Rückenbehaarung und der „vermehrten u. schmerzhaften, längerdauernden Erektionen“ (Beipackzettel) warte. Die Studie sowie Bekannte mit Hormontherapieerfahrung versprechen, dass mich in naher Zukunft der Wunsch ergreifen wird, alles zu vögeln, was nicht bei anderthalb auf den Bäumen ist und sich nicht zu sehr vor meiner Rückenbehaarung graust. Stattdessen steigt vorerst aber nur meine Körpertemperatur um gefühlte fünfzehn Grad. Deshalb also frieren die Jungs nie – und nicht etwa, weil sie sich nur nicht so anstellen oder weil hässliche Cartoonfigurensocken die Füße doch wärmer halten. Ich ziehe die langen Unterhosen auf männliche Weise über den Kopf aus und werfe sie von mir.

Abends beim Weggehen erscheinen mir die Männer allerdings nicht begehrenswerter als sonst, und auch angesichts verdreckter Club-Klos möchte ich nicht im Stehen pinkeln. Beim Händchenhalten äußert sich die erhöhte Körpertemperatur hinderlich und peinlich in schweißnassen Pfoten. Aber das ist vermutlich eine wichtige Sozialisationserfahrung im Leben von uns Jungs. Da muss man durch, wenn man die höheren Mysterien des Plattenauflegens, der objektorientierten Programmierung und des Geduld-mit-Frauen-Habens ergründen will. Der Rest des Abends verläuft dann leider weniger spektakulär als erhofft. Anderen Leuten Bartabschürfungen zufügen und dabei röhren wie ein Hirsch? Fehlanzeige. Und mich hinterher umdrehen und einschlafen will ich auch ohne Hormone.

Testosteron, glaube ich, wird weithin überschätzt. Aber in der kalten Jahreszeit ist es jedenfalls eine praktische kleine Standheizung.

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