Kaltfront mit typischem Windbruch

„Die kleine Eiszeit“: Interdisziplinäre Schau zur holländischen Malerei  ■ Von Hajo Schiff

Bis Anfang April besteht die seltene Möglichkeit, sich demselben Thema aus zwei grundverschiedenen Blickwinkeln zu nähern: Während die Kunsthalle den niederländischen Landschaftsmaler Jacob Isaacszon van Ruisdael bildkritisch würdigt, präsentiert das Altonaer Museum jetzt eine interdisziplinäre Suche nach bislang unbeachteten Inhalten in der holländischen Landschaftsmalerei seiner Zeit. Etwa dreißig Bilder sind hier zu sehen, auf denen das in Holland so reichlich vorhandene Wasser zwar ausgiebig zu Wintervergnügen auf dem Eis, aber niemals zum sommerlichen Baden benutzt wird. Das ist kein Zufall. Denn die Klimaforscher wissen inzwischen, dass vom Ende des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine „kleine Eiszeit“ herrschte, mit niedrigeren Durchschnittstemperaturen als heute und langen Wintern. Wie die Wissenschaften zu solchen Erkenntnissen kommen, zeigt ein Teil dieser Schau.

Neben geophysikalischen Demonstrationsobjekten und meteorologischen Wolkenanalysen finden sich hier exquisite Stücke der Landschaftsmalerei: Mit Haarlem von den Dünen im Nordwesten gesehen ist zu den beiden in der Kunsthallen-Schau präsentierten eine dritte der neun berühmten Ruisdaelschen Haarlem-Ansichten nach Hamburg gekommen. Da kann der Genießer von Wolkenpoesie schwärmen, und der Kunsthis-toriker mag angesichts der Bleicherinnen auf den Wiesen von einer Allegorie auf die Reinheit der Seelen sprechen. Doch dann kommt der Potsdamer Meteorologe Franz Ossing und erklärt trocken: „Hier ist offensichtlich nachts eine Kaltfront durchgezogen.“ Und er verweist auf hochschießende Cumuli und Reste von Cirrus-Wolken. Er bestimmt die Richtungsänderung des Windes anhand der Ausrichtung der Mühlen und findet das schlüssig dargestellte Wetter sehr passend zur Tätigkeit des Bleichens: viel Feuchtigkeit und ein hoher UV-Anteil. So erfrischend anders werden diese Bilder bisher wohl nur von wenigen gesehen.

Betont der Kunsthistoriker etwa, hier sei ein Bild aus Jan van Goyens „toniger Phase“, entgegnet der Meteorologe, das sei die genau richtige Darstellung für dunstige Inversionswetterlagen bei Windstille über Eis. Die Sommerwolken über einer anderen Eislandschaft seien dagegen ganz falsch. Und auch zu einer großen Landschaft von Salomon Jacobszon van Ruysdael mit einem zum Vergänglichkeits-Symbol erhobenen abgebrochenen Baum und einer Personenstaffage folgt prompt ein Wetterbericht: „Der Hochnebel reißt auf, hier herrscht eine Hochdruckwetterlage mit Ostwind im Spätsommer.“ Der Baumschaden sei im übrigen ein bei maritimer Westwindlage häufiger Windbruch. Ein Fachmann scheint in den 350 Jahre alten Bildern genauso seine Informationen zu finden, wie in den Bohrproben aus Jahrmillionen alten Vulkanmaaren, die auf der anderen Seite des Raumes ausgestellt sind.

„Naturwissenschaften und Kunst haben eigentlich das gleiche Thema“, sagt Franz Ossing vom Geoforschungszentrum Potsdam, das zusammen mit der Berliner Gemäldegalerie die Ausstellung erarbeitet hat. „Es ist der Mensch in seiner Umwelt. Dabei ist heute noch völlig unklar, inwieweit die holländischen Landschaftsmaler Wetterstudien betrieben haben. Wolken und Landschaften sind zwar immer typisch, aber nur selten meteorologisch exakt. Ähnlich den Kapitänen verfügten die Maler wohl über ein angesichts der Natur gewonnenes Erfahrungswissen, dass dann in ihre Atelierkompositionen einging.“ Dabei waren die oft romantischen Bildthemen auch für das damalige Publikum eher nostalgisch, war die holländische Landschaft in den Poldergebieten doch schon damals von strikter Rationalität.

Die kleine Eiszeit: Holländische Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert Altonaer Museum; bis 7. April; Katalog: 14 Euro