Testschlappe für Gentherapeutikum

Klinische Tests mit manipulierten Adenoviren sind nicht ohne Risiko für den Nachwuchs der Probanden

Einen „wichtigen medizinischen Durchbruch“ bei der Entwicklung eines Genmedikaments für Bluter vermeldete das Unternehmen Avigen vor zwei Jahren in einer Pressemitteilung. Dieselbe Formulierung tauchte kurz darauf in unzähligen Zeitungsartikeln auf. Der Aktienkurs der kalifornischen Biotec-Firma stieg, und potenzielle Investoren wurden angelockt – was wohl auch der Sinn der Übung gewesen war. Im November 2000 biss schließlich die Leverkusener Bayer AG an. Der Chemiemulti beteiligte sich mit 15 Mio. Dollar an Avigen und sicherte die Finanzierung der kostspieligen dritten und letzten Testphase vor der Zulassung des Mittels zu. Insgesamt 60 Millionen Dollar war dem Konzern die Aussicht auf ein Präparat für Hämophilie-B-Kranke wert, das mittels Erkältungsviren, so genannten Adenoviren, Gerinnungsfaktoren produzierende Gene in Muskelzellen schleust und so die Anzahl der von den Blutern benötigten Transfusionen bedeutend senkt.

Es gab sogar schon einen Namen für das Pharmazeutikum: Coagulin B. Nur mit dem Wirksamkeitsnachweis haperte es: Der die Erprobung für Avigen an der Stanford University leitende Mark Kay musste die Versuche abbrechen. Lediglich einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung war ein Hinweis auf die Schlappe zu entnehmen. Kay ließ sich jedoch den sprichwörtlichen Branchenoptimismus nicht austreiben und berichtete dem FAS-Journalisten von ermutigenden Resultaten beim neuerlichen Coagulin-Anlauf mit Leberzellen als Produktionsort für Gerinnungsfaktoren: „Bisher sind keine bedeutsamen Nebenwirkungen aufgetreten.“

Das sollte sich bald ändern. Ende letzten Jahres meldete das Wissenschaftsjournal Nature, in der Samenflüssigkeit eines Testteilnehmers hätten sich Gensequenzen der Adenoviren gefunden. Da damit die Gefahr gegeben war, dass über die Fortpflanzung fremdes Erbmaterial in das Genom von Neugeborenen gelangt, unterbrach die US-Gesundheitsbehörde FDA die Versuche. Das Risiko eines Gentransfers war der Behörde nicht unbekannt. Sie hatte es bereits zur Auflage gemacht, Gentherapien ausschließlich an unfruchtbaren Männern zu erproben und lediglich bei lebensgefährlich Erkrankten ohne Therapiealternative Ausnahmen gestattet.

Da sich die Virenspuren nicht direkt im Sperma, sondern „nur“ in den anderen Bestandteilen der Samenflüssigkeit fanden, meinte Mark Kay abwiegeln zu können: „Wenn Sie sich die Bandbreite der anderen Risiken vergegenwärtigen, die Probanden in Arzneitests auf sich nehmen, dann ist dieses hier relativ klein.“ Die dem National Institute of Health (NIH) angegliederte Ethikkommission war derselben Auffassung. Sie sprach sich für eine Fortsetzung des gefährlichen Experiments aus. Der FDA blieb keine Wahl, als das Votum zu akzeptieren und weitere Versuche zu genehmigen.

Die Probleme mit Coagulin B erweitern die umfangreiche Unfallstatistik für den Bereich „Gentherapie“ um zwei weitere Einträge. Der Öffentlichkeit zugänglich ist sie nicht. Selbst das NIH informierte die Aufsichtsbehörden lediglich über 6 Prozent der Zwischenfälle – die von der Industrie finanzierten Genexperimente fallen nämlich unter das Handelsgeheimnis.

Zudem zauberten die Genfirmen wieder einmal einen „Durchbruch“ aus dem Hut. Jetzt soll es die Verwendung nicht mehr ganzer Viren, sondern nur noch ihrer Hüllen als „Gentaxis“ richten. Dieser neuerliche „Meilenstein“ verursachte bereits bei einer Testperson über 40 Grad Fieber, eine Leberentzündung sowie eine Absenkung der Anzahl der für die Blutgerinnung wichtigen Blutplättchen. Erst nach 19 Tagen stabilisierte sich der Gesundheitszustand.Und auch in diesem Fall ließ die FDA den Versuch unter der Vorgabe, die Anzahl der Viren abzusenken, nach einer Unterbrechung weiterlaufen. Die nächsten Pannen sind wohl vorprogrammiert.

JAN PEHRKE