Schily-Schoten

Die Affäre um das NPD-Verbot zeigt: V-Leute sind überflüssig. Ihre Erkenntnisse werden oft manipuliert. Auch ohne dubiose Quellen lässt sich ein Parteiverbot begründen

Und warum wagtsich der bayerischeInnenministerBeckstein nicht andie DVU heran?

Vielleicht hatte die NPD-Führung doch Recht, als sie bei der Vorstellung des „Aussteigerprogramms“ für Neonazis durch die Bundesregierung vermutete, es ginge dem zuständigen Bundesinnenminister hauptsächlich darum, seine V-Leute aus der Partei zu holen.

Und das waren keine kleinen Mitglieder, die nur als Beobachter agierten. Stattdessen sind Gründungsmitglieder, Landesvorsitzende und Parteivorstandsmitglieder als Mitarbeiter jener skandalumwitterten Behörde enttarnt worden, die eigentlich die Demokratie schützen soll – jedenfalls laut Eigendarstellung in diversen Werbebroschüren der Schlapphüte.

Wir stehen vor einem der größten innenpolitischen Skandale der Bundesrepublik. Nicht nur oberflächliche Beobachter fragen sich nach den jüngsten Enthüllungen, ob es sich bei der NPD weniger um eine Partei als vielmehr um eine Unterabteilung des Verfassungsschutzes handeln könnte. Genauer betrachtet stellt sich aber eine ganz andere Frage: Wer hat wen beobachtet? Offensichtlich haben nämlich die VS-Mitarbeiter nicht nur mit Wissen der NPD-Parteiführung für den Verfassungsschutz gearbeitet – sondern die Berichte an die Behörde wurden auch noch entweder in Absprache mit der Parteispitze geliefert oder von dieser gleich selbst verfasst. Das heißt ganz konkret, der Verfassungsschutz bekam von der NPD manipulierte Informationen und wurde dadurch vom Beobachtungsobjekt gesteuert. Und dafür wurde den VS-Agenten nicht wenig Geld gezahlt, das diese dann wiederum der NPD spendeten.

Überraschend ist freilich die Überraschung über diese Einsichten. Hat man denn schon ähnliche Skandale der letzten Jahre vergessen? Die früheren Führer der NPD Thüringen, Dienel und Brandt, brüsteten sich nach ihrer Enttarnung ganz offen damit, dass sie dem Verfassungsschutz nur wertloses Material geliefert und das dafür erhaltene Geld zum Aufbau der NPD-Strukturen verwendet hätten. Ähnliche Beispiele gibt es aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen. Nur waren die Auswirkungen bisher nicht so weit reichend wie in den jüngst bekannt gewordenen Fällen: Das drohende Scheitern des Verbotsverfahrens gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht würde von den Neonazis und rassistischen Gewalttätern nicht nur als Erfolg, sondern auch als Persilschein verstanden werden.

Bei aller notwendigen Kritik am Bundesinnenminister und am Verfassungsschutz darf eines nicht vergessen werden: Die NPD ist eine neonazistische und rassistische Partei, die in Programmatik, Ideologie und Praxis in der Tradition der NSDAP steht. Die NPD erfüllt die Voraussetzungen eines Verbotes. Und das ist nachweisbar durch allgemein zugängliche Quellen! Dazu gehören etwa die Parteizeitung Deutsche Stimme oder auch das Parteiprogramm. NPD-Chef Udo Voigt formulierte ganz offen, dass sein Ziel die „Errichtung eines neuen Deutschland auf den Trümmern der BRD“ sei. Auch das Parteivorstandsmitglied Per Lennart Aae sprach von der „Überwindung des gegenwärtigen liberalkapitalistischen Herrschaftssystems“. Dubiose Quellen sind nicht notwendig, um einen Verbotsantrag zu begründen.

Überraschend ist die Überraschung. Hat man ähnliche VS-Skandale der letzten Jahre vergessen?

Daraus folgt auch: V-Leute sind überflüssig. Sie sind teuer, vor allem aber ineffizient und bringen keine neuen Erkenntnisse über die sowieso recht öffentlich agierende NPD. Die Alimentierung der neonazistischen Szene durch den Verfassungsschutz muss unverzüglich eingestellt werden – und die Frage beantwortet werden, wer wen steuert.

Es zeichnet sich ab, dass das ganze Ausmaß dieser Verstrickungen noch lange nicht bekannt ist – und dass versucht wird, sie möglichst nicht zu erhellen. Denn es gab und gibt auch zu anderen neonazistischen Organisationen Querverbindungen. Bis heute ist immer noch nicht aufgearbeitet, dass der frühere bayerische Innenminister – also der oberste Dienstherr von Polizei und Verfassungsschutz im Freistaat –, Alfred Seidel, zeitgleich zu seiner Ministertätigkeit für die berüchtigte National-Zeitung geschrieben hat. Sie gehört dem DVU-Besitzer und Händler mit diversem NS-Klimbim, Gerhard Frey. Welche Beziehungen wurden dabei aufgebaut? Und warum wagt sich der heutige bayerische Innenminister Beckstein – der gerade so tut, als hätte er die Forderung nach einem NPD-Verbot erfunden – nicht auch an die DVU heran? Warum lässt er nicht prüfen, ob diese überhaupt den Kriterien einer Partei entspricht? Sieht man sich die zahllosen Affären um die Verwendung von Fraktionsgeldern, den Ablauf von Parteitagen, die mangelnden Mitentscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Mitglieder, die fehlenden Kompetenzen untergeordneter Verbände innerhalb dieser Partei und zugleich die finanzielle Abhängigkeit vom Parteivorsitzenden an – so kann man nur schwer daran glauben, dass die zwingend vorgeschriebene innerparteiliche Demokratie existiert.

Fragen über Fragen. Vieles, was man bis vor kurzem noch für den Stoff hielt, aus dem schlechte Agententhriller gemacht werden, scheint sich als bundesrepublikanische Geheimdienstrealität zu entpuppen. Und im Mittelpunkt steht eine Behörde, deren Kompetenzen durch das so genannte Sicherheitspaket II verfassungsrechtlich höchst bedenklich erweitert wurde. Ihre Bundeszentrale in Köln-Chorweiler wirkt wie ein Biotop, dessen Bewohner ein von der Außenwelt und ihren Gesetzen abgeschirmtes Eigenleben führen – das offensichtlich nicht mehr zu kontrollieren ist.

Es lässt sich fragen, ob die NPD weniger eine Partei war als eineAbteilung desVerfassungsschutzes

Die ganze Debatte geht also über die Frage hinaus, wie dem Neofaschismus wirkungsvoll begegnet werden kann und ob es ausreicht, mit stümperhaftem Aktionismus das sicherlich längst überfällige NPD-Verbot zu betreiben. Es ist auch darüber zu diskutieren, ob wir einen Inlandgeheimdienst nötig haben und wenn ja, welche Aufgaben, Kompetenzen und Arbeitsmethoden und -mittel dieser haben soll und wie die demokratischen Kontrollmechanismen gestärkt werden können. Bisher jedenfalls lässt sich schon an den jährlichen Berichten des Verfassungsschutzes ablesen, dass er keine neuen Erkenntnisse zu bieten hat.

Und jenseits eines NPD-Verbots und einer V-Mann-Affäre ist festzuhalten: Demokratiefeindliche, neonazistische Bestrebungen lassen sich am ehesten durch das demokratische Engagement der Bevölkerung bekämpfen. Dies ist viel wirksamer als eine Behörde, die in ihrer Arbeitsweise kaum zu kontrollieren ist und gelegentlich in juristischen Grauzonen operiert. Um Neonazismus und rassistische Gewalt zurückzudrängen, gilt es, weniger Verfassungsschutz und dafür mehr Demokratie und bewussten Antifaschismus zu wagen. JÖRG FISCHER