Wirtschaftselite setzt auf Skepsis

Auf dem Weltwirtschaftsforum stoßen Beteuerungen der USA auf Unglauben, ihr Anti-Terror-Kampf schließe den Kampf gegen die Armut ein

aus New York NICOLA LIEBERT

Äußerlich sind die Unterschiede die üblichen: Die einen können sich auf Luxusdiners mit Kaviar und Champagner freuen, die anderen stehen draußen und frieren. Dazwischen enge Reihen von Polizisten in Kampfmontur. Doch inhaltlich nähern sich die Diskussionen der offiziellen Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums langsam an die Themen der Globalisierungsgegner an.

In vergangenen Jahren tendierte das Weltwirtschaftsforum dazu, in erster Linie die Segnungen des globalen Kapitalismus beispielsweise die New Economy zu feiern und die Behebung lästiger Störungen wie der Asienkrise zu besprechen. Aber schon das Motto der diesjährigen Veranstaltung, die nicht wie üblich in Davos, sondern in New York stattfindet und heute zu Ende geht, weist auf die neue Unsicherheit der gut 2.700 hochrangigen Vertreter von Wirtschaft und Politik hin: „Führung in unsicheren Zeiten“. In den Veranstaltungstiteln wimmelt es vor Wörtern wie „Konflikt“ oder gar „Furcht“.

„Davos ist immer ein Crashkurs über neue weltweite Trends und neue Einstellungen“, sagt Daniel Yergin, einer der Mitorganisatoren des Forums. Drinnen wie draußen werden in erster Linie die Schattenseiten der Globalisierung thematisiert, die Dominanz der USA in der Weltwirtschaft zum Nachteil anderer und die Frage, ob die USA nicht eine Mitverantwortung für das Entstehen terroristischer Netzwerke haben.

Diesen kritischen Ansatz illustrierten Finanzminister Paul O’Neill und Außenminister Colin Powell. Die beiden ranghöchsten US-Vertreter beim New Yorker Forum stellten sich ungeniert auf den Standpunkt, die USA würden den Krieg gegen Terrorismus ohne Rücksicht auf Verbündete führen, wo es ihnen passe, und dem in einer Finanzkrise steckenden Argentinien jegliche Hilfe versagen. Die Beteuerungen Powells, der Anti-Terror-Kampf müsse natürlich auch den Kampf gegen die Armut beinhalten, nahmen die übrigen Teilnehmern mit unverhohlener Skepsis auf.

In der Tat werden auf diesem Weltwirtschaftsforum vor allem die USA kritisiert – und das längst nicht nur von Seiten der Demonstranten. Politiker aus aller Welt prangerten unter anderem den Protektionismus der weltgrößten Volkswirtschaft an. Der indische Finanzminister Jashwant Sinha beschrieb, wie die Importschranken der USA und der EU der Stahlindustrie seines Landes schaden. Selbst IWF-Direktor Horst Köhler kritisierte den Egoismus der Industrieländer, die ihre Landwirtschaft und die Textilwirtschaft vor ausländischer Konkurrenz und damit vor Konkurrenz aus Entwicklungsländern schützen.

„Wenn wir es wirklich ernst damit meinen, dass Globalisierung allen nützen soll, dann müssen die entwickelten Länder begreifen, dass sie nicht weiter nach dem Prinzip business as usual verfahren können“, sagte Köhler. „Globalisierung ist undemokratisch“, hatte das zuvor eine Demonstrantin draußen nur ein wenig radikaler ausgedrückt. „Ein paar Leute treffen die Entscheidungen zum Schaden des Rests der Welt.“

Die Veranstalter haben das neue Klima wohl bedacht, als sie sich dazu entschlossen, diesmal rund 50 Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften ebenso einzuladen wie 40 prominente Gewerkschafter, darunter den Chef des US-Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO, John Sweeney.

Die Arbeiterorganisationen in den USA nutzen ihrerseits die Gelegenheit, ihre Abneigung gegen die Globalisierung öffentlich zu machen. Während Sweeney drinnen einen „Platz am Tisch, wo die Regeln geschrieben werden, wie Globalisierung funktioniert“ einforderte, demonstrierten draußen vor einer Filiale der Modekette GAP gut 500 Gewerkschafter lautstark gegen die Niedriglohnklitschen der Dritten Welt, in denen GAP seine Kleider herstellen lässt.

New York hatten die Organisatoren des Davoser Forums als Veranstaltungsort gewählt, um die vom Anschlag auf das World Trade Center gebeutelte Stadt zu unterstützen. Doch die Wahl dürfte auch aus strategischen Gesichtspunkten geschickt gewesen sein – wegen der erwarteten gewaltsamen Demonstrationen. Denn jetzt, wo die Stadt das Chaos nach dem Anschlag gerade in den Griff bekommen hat, neues Chaos zu stiften und sich mit den als „Helden“ verehrten uniformierten Kräften anzulegen – dafür hätte jetzt hier niemand Verständnis. Nur 36 Menschen wurden am Samstag während der Großdemo verhaftet, die meisten, weil sie gegen das Vermummungsverbot verstoßen hatten. Die Sicherheitsverantwortlichen sind dabei nach den Ausschreitungen während der WTO-Tagung in Seattle und der G-7-Tagung in Genua geradezu paranoid geworden. Selbst das Gros der Journalisten wurde nicht in die Nähe der VIPs im Waldorf Astoria Hotel gelassen. Sie können das Ereignis lediglich von einem benachbarten Hotel im Fernsehn verfolgen. Nur 350 Starjournalisten durften mit auf das eigentliche Forum.

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